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Deutsche Seiten, 21. 11. 2025
Als Ökonom bin ich mir der anhaltenden schleichenden Stagnation der europäischen Wirtschaft und des rückläufigen Anteils Europas an der Weltwirtschaft mehr als bewusst. Sie ist das Ergebnis der mangelnden Wettbewerbsfähigkeit vieler europäischer Unternehmen. Dieser Mangel ist die Folge eines Politikversagens, die Folge eines absichtlich eingeführten, über Jahre und Jahrzehnte hinweg aufrechterhaltenen ineffizienten, überregulierten und überzentralisierten Wirtschaftssystems, das durch eine gegen die wirtschaftliche Vernunft verstossende Wirtschaftspolitik geschaffen wurde. Die meisten Ökonomen würden wahrscheinlich zustimmen, dass die Wirtschaft in Europa – genauer: die Wirtschaft in der Europäischen Union – heute eher sozial als marktwirtschaftlich, eher grün als frei, eher digital als offen ist.
Breschnews Alternative
Einige von uns sind in dieser Hinsicht vielleicht überempfindlich. Ich bin es. Das liegt an meiner persönlichen Erfahrung. Als die vielversprechenden tschechoslowakischen Wirtschaftsreformen der 1960er Jahre im August 1968 durch die sowjetische Armee brutal unterbrochen wurden, versuchte UdSSR-Führer Leonid Breschnew, uns eine Alternative zu marktorientierten Reformen vorzuschlagen. Natürlich eine völlig falsche und unpraktikable. Als er unsere Versuche, grundlegende systemische Veränderungen vorzunehmen, unterdrückte, kam er auf die Idee einer «wissenschaftlichen und technologischen Revolution» als Möglichkeit, den Westen einzuholen und schliesslich zu überholen. Dies wurde zur offiziellen kommunistischen Ideologie der 1970er und 1980er Jahre. Ich erwähne dies nicht, um Geschichte zu lehren. Ich finde es zu meinem grossen Bedauern wieder relevant.
Viele Aspekte der digitalen Revolution basieren meiner Meinung nach auf einer ähnlichen technokratischen, nichtökonomischen Denkweise. Was wir brauchen, ist nicht die Digitalisierung. Sie wird kommen, ob wir sie wollen oder nicht. Was wir brauchen, ist eine Rückkehr zu freien Märkten und freiem Handel. Diese grundlegende Wahrheit ist in Europa in Vergessenheit geraten. Stattdessen wurde die europäische Wirtschaft in den letzten Jahrzehnten stark besteuert, reguliert und eingeschränkt. Die Märkte sind nicht frei. Die Digitalisierung ist nicht das Gegenteil eines überregulierten Staates, sondern eine Methode, um die Regulierung einfacher und effizienter zu gestalten. Damit man uns effektiver regulieren kann.
Rimini-Rede des Helden
Ich weiss, das ist eine Minderheitenmeinung. Ich weiss, die Helden in den tonangebenden Kreisen vieler europäischer Hauptstädte sind Menschen wie Italiens früherer Regierungschef Mario Draghi. Seine jüngste Rede in Rimini hat mich dazu motiviert, ihn als Michail Gorbatschow der Europäischen Union von Kommissionschefin Ursula von der Leyen zu bezeichnen. Er spricht wie ein typischer Perestroika-Mann, falls sich noch jemand an den Begriff erinnert. Draghi möchte die Grundlagen unangetastet lassen. Gorbatschow wollte als neuer UdSSR-Führer den Kommunismus bewahren, aber ihn – technokratisch – effizienter gestalten.
In unserer Samtenen Revolution von 1989 lehnten wir die Idee der Perestroika, diese Form des «dritten Weges», ab und erklärten stattdessen, dass wir den Kapitalismus, den «ersten Weg», wollten. Ich bin heute ebenfalls davon überzeugt, dass wir in ganz Europa einen systemischen Wandel brauchen. Je früher, desto besser. Ein ständiges Flicken reicht nicht aus. Es reicht nicht aus, «Skepsis in Taten umzusetzen», wie es in Draghis Rede hiess. Wir sollten uns auf den Kern des Systems konzentrieren. In der Vergangenheit haben wir bei unseren Bemühungen, den Kommunismus kritisch zu betrachten, verstanden, dass der grundlegende Schritt nach vorne darin bestehen würde, der Wirtschaft eine ausreichende Autonomie zu geben, die mit der zentralen Planung unvereinbar war. Die Wirtschaft darf nicht von der Politik diktiert werden. Ich habe dies bereits vor mehr als einem halben Jahrhundert als die Wurzel des Problems erkannt. Die heutige Wirtschaft in den Ländern der EU befindet sich in einer ähnlich untergeordneten Position – die Wirtschaft wird wieder von der Politik diktiert.
Die Wurzeln dafür liegen heutzutage nicht mehr in den alten sozialistischen Konzepten von Ausbeutung und Gleichheit, sondern in der Doktrin des Umweltschutzes, in der grünen Ideologie. Der Green Deal – die Energiewende — ist ein Beispiel dafür. Mein guter Freund, der Schweizer Ökonom und Journalist Claudio Grass, hat es klar ausgedrückt: «Die Energiewende in Europa war katastrophal verfrüht.» Ich bin sicher, dass der rasante technische Fortschritt selbst – zu gegebener Zeit – eine Form der Energiewende herbeiführen wird, aber eine solche Wende ist mit enormen Kosten verbunden, wenn sie ex ante, also verfrüht, durchgeführt wird. Diese Kosten zahlen wir jetzt.
Eine weitere typische Beschwerde europäischer Technokraten ist «der Mangel an Einheit». Geht es um den Mangel an echter europäischer Einheit, die die Interessen der einzelnen Nationen widerspiegeln und respektieren würde, oder geht es um die geforderte formale Einheit, die die politische Vereinigung Europas sinnvoll und gerechtfertigt machen sollte? Die Verlagerung von der wirtschaftlichen Integration zur politischen Vereinigung ist eine sehr problematische Entwicklung. Sie stellt einen Versuch dar, den authentisch sehr heterogenen europäischen Kontinent zu homogenisieren. Wir sollten nicht gegen den Wind blasen. Wir sollten die bestehende Heterogenität und ihre Folgen akzeptieren. Selbst Mario Draghi fordert eine Veränderung: «Die EU muss sich in Richtung neuer Formen der Integration bewegen.» Was sollen wir uns unter seinen «neuen Formen der Integration» vorstellen? Was wird neu sein? Die Idee eines engeren oder geeinteren Europas? Wird das neu sein? Und wird es ein Weg zu einer Verbesserung sein? Ich bezweifle es.
Altes biblisches Prinzip
In seiner Rede in Rimini schockierte mich Draghi, indem er zwischen schlechten und guten Schulden unterschied, wovon in seriösen Wirtschaftslehrbüchern nichts zu finden ist. Er erklärte sogar, dass «gute Schulden auf nationaler Ebene nicht mehr möglich sind. (. . .) Nur gemeinsame Schulden.» War das ernst gemeint? Ich bin überzeugt, dass die Heterogenität der 27 EU-Mitgliedstaaten nicht einmal den derzeitigen Grad der Zentralisierung der EU erfordert, ganz zu schweigen von der kontinuierlichen Übertragung weiterer Kompetenzen nach Brüssel. Sollten wir noch zentralistischer werden? Ich bin entschieden dagegen. Ein Land, das an Marokko grenzt, ist anders und hat andere nationale Interessen als ein Land, das an Russland grenzt. Ein Land nahe dem Polarkreis ist anders als Sizilien. Das alte biblische Prinzip der Subsidiarität sollte nicht in ein nichtbiblisches Axiom übersetzt werden: «Je mehr Macht in Brüssel konzentriert ist, desto besser».
Europas wahre Stärke
Ende des 19. Jahrhunderts haben die Ökonomen – und das war eine grosse Leistung – den sehr nützlichen und produktiven Begriff «öffentliche Güter» geprägt. Das waren die Ökonomen, nicht die Kritiker der Ökonomie. Aber dieser Begriff darf nicht missbraucht werden. Wir sollten die Behauptung von Nicht-Ökonomen nicht akzeptieren, dass fast alle Güter öffentliche Güter sind. Und dass sie alle einer zentralen Planung bedürfen, die heutzutage – euphemistisch – als Regulierung bezeichnet wird. Die Ökonomen wissen, dass es in Wirklichkeit nicht viele öffentliche Güter im Allgemeinen und nur sehr wenige auf kontinentaler Ebene gibt. Die Kompetenzen der EU-Institutionen müssen daher radikal verringert und nicht erhöht werden.
Einige Europäer, vor allem die Brüsseler Politiker, haben das Gefühl, dass sie im Rest der Welt nicht gehört werden. Werden sie in der Lage sein, mit den USA und China als gleichberechtigte Partner zu sprechen, indem sie Europa künstlich vereinen und mehr Kompetenzen nach Brüssel übertragen? Ich glaube nicht. Die Stärke liegt nicht in der Grösse und wird auch nie darin liegen. In dieser Hinsicht werden wir niemals konkurrieren können. Unsere wahre Stärke liegt in unserer Freiheit, in unserer Vielfalt und in unserem freien Wettbewerb der Meinungen und Ideen. Und das sollte auch so bleiben.
Der vorliegende Text ist das leicht gekürzte Manuskript seiner Rede vom 11. November am Lugano Global Forum.
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