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Peutinger Medaille, positive und produktive Nachbarschaft und die Europäische Union

Deutsche Seiten, 18. 5. 2009

Sehr geehrte Damen und Herren,

es ist für mich wirklich eine große Freude, wieder einmal in München und in Bayern zu sein und eine große Ehre, die Goldene Peutinger Medaille zu bekommen. Wie es hier heute schon erwähnt wurde, ist die heutige Veranstaltung für mich nicht das erste Treffen mit dem Peutinger Collegium. Zum ersten Mal war ich hier vor 16 Jahren und habe damals von Ihnen den Großen Ehrenteller des Collegiums bekommen. 

Ich hoffe, dass ich die Bedeutung des Namens Conrad Peutinger in der deutschen und besonders bayerischen Geschichte und die Ideen, mit denen er verbunden ist, richtig einschätze.  Ein Berater von Kaiser Maxmillian I., ein Freund Dürers und ein kritischer Partner von Martin Luther stand auf der Seite der wirtschaftlichen Freiheit. Es war damals aktuell, aktuell ist es auch heute. Die Welt braucht gerade jetzt neue Peutinger, denn die Verfechter der Freiheit sind permanent, aber besonders heute nur eine kleine, fast zum Aussterben verurteilte, Minderheit. In der Zeit von Conrad Peutinger gehörte zu dieser Debatte auch der Streit über das rigide Zunftsystem, dem gegenüber er kritisch aufgetreten ist. Soweit ich weiß, kritisierte er auch die tschechischen Hussiten, die die Idee des gemeinsamen Eigentums propagiert und sogar zum Teil eingeführt haben. 

Ich bin wirklich froh, dass ich heute hier in München, auf dem bayerischen Boden, sein kann. Auf der einen Seite bin ich hier sehr oft, auf der anderen muss ich zugeben, dass ich meistens nur auf dem Münchener Flughafen oder auf der Münchener Autobahn bin – ohne in München anzuhalten. Umso mehr schätze ich diese Gelegenheit. Bayern ist unser wichtiger Nachbar und wir sind uns dessen bewusst. So war das in der Vergangenheit und so ist es auch heute der Fall. 

Mit großer Neugier habe ich vor ein paar Wochen meine 1993 Rede vor dem Peutinger Collegium gelesen. Ich war im Prinzip zufrieden damit, dass sich meine Ideen nicht geändert haben. Was sich aber verändert hat, ist die Zeit. Im März 1993 waren wir, in der Tschechischen Republik, in der ersten Phase der radikalen gesellschaftlichen, politischen und wirtschaftlichen Transformation unseres Landes. Wir waren kurz nach der friedlichen Teilung der Tschechoslowakei. Auch die Kontakte zwischen unseren Ländern haben erst begonnen sich zu entwickeln. Sie haben sich aber relativ sehr schnell entwickelt und von den angenehmen und relativ sehr einfachen Höfflichkeiten zur wirklichen Zusammenarbeit und zum authentischen Zusammenleben bewegt. 

In meiner damaligen Rede habe ich zum Beispiel über die Wichtigkeit der Autobahnverbindung zwischen beiden Ländern und über die Verbesserung der Grenzübergänge gesprochen. Die Autobahn ist da und die Reise von Prag nach München dauert drei Stunden. Schengen hat die Grenze fast absolut geöffnet. Andere ähnliche Beispiele kann man sehr einfach nennen. Die intensive bilaterale Zusammenarbeit und die Mitgliedschaft der beiden Länder in der EU haben uns tief integriert.

Wie sie wissen, war ich und bin ich kein Euroutopist oder Euronaivist. Schon vor 16 Jahren habe ich hier ganz deutlich und absichtlich gesagt: „Die europäische Politik fängt bei den nächsten Nachbarn an.“ Ich bin auch heute davon überzeugt, dass die europäische Zusammenarbeit auf dieser Ebene gegründet werden muss. Ich habe auch gesagt, dass diese Zusammenarbeit nicht „über die Köpfe“ der Völker gehen darf.   Schon damals habe ich gewarnt, dass ein solches Verfahren „die Länder und Nationen nicht verbinden, sondern trennen würde“. Das gilt auch heute.

Auch die Spaltung der Tschechoslowakei gehört heute zur Vergangenheit an, über die wir zur Zeit fast nur im Ausland reden. Die vergangenen 16 Jahre haben uns überzeugend gezeigt, dass die Trennung den beiden Ländern zugute gekommen ist. Besonders für die Slowaken war das ein positiver Schritt, den sie – wie wir alle sehen können – zunutze gemacht haben. Obwohl ich kein Anhänger der Spaltung und der Verkleinerung meiner Heimat war, erwartete ich solche positive Entwicklung. Manche Leute, sehr oft auch unsere Freunde im Ausland, haben das in der ganzen Komplexität und Vielfältigkeit der Sache leider nicht gut verstanden. 

Wie ich schon am Anfang meiner heutigen Rede erwähnt habe, waren wir vor 16 Jahren im Prozess der radikalen Transformation unserer Gesellschaft vom Kommunismus zur Freiheit, Demokratie und Marktwirtschaft. Relativ bald haben wir verstanden und die bisherige Erfahrung hat das bewiesen, dass ein solcher Systemwechsel eine a priori  unvorstellbare Kombination der spontanen Evolution und der organisierten Konstruktion ist. Dazu kommt noch die Erkenntnis, dass diese Kombination in allen Zeiten und allen Ländern unterschiedlich ist und kann nicht passiv imitiert werden.

Unsere damalige Aufgabe war, diese radikale Umwandlung zu machen, aber ihre Kosten zu minimalisieren. Die Illusionen, dass ein so tiefer Systemwechsel ohne Kosten möglich wäre, existierten und existieren, sind aber absolut falsch. Wir mussten die Öffnung der Märkte, die Liberalisierung und Deregulierung der ganzen Wirtschaft, die Massenprivatisierung (d. h. die Privatisierung der ganzen Wirtschaft, nicht nur einzelnen Firmen), und den Aufbau von marktfreundlichen Institutionen und Regeln organisieren. Auch die makroökonomische und soziale Stabilität musste garantiert werden. 

Das alles mussten auch die Deutschen, nicht hier in Bayern, sondern im östlichen Teil Deutschlands tun. Ich sehe aber wichtige Unterschiede:

1)       Die Tschechen mussten neue Institutionen und Regeln in einem peinlichen und langdauernden, aber demokratischen Prozess selbst aufbauen. Die Ostdeutschen haben im Gegenteil nach der Vereinigung mit seinem älteren Bruder ihre Institutionen und Regeln praktisch übernacht angenommen. Ich bin aber der Meinung, dass der schnelle und nicht „durchgelebte“ Import von solcher Marktinfrastruktur kein Vorteil, sondern ein zweischneidiges Schwert darstellt.

2)       Bei uns  sind die liberalisierten Preise am Anfang viel schneller als die Löhne angestiegen. Trotzdem ist es langsamer geschehen als in anderen Transformationsländern, weil das geerbte Wirtschaftsungleichgewicht bei uns kleiner war, als in diesen Ländern. Zum Herunterdrücken der Reallöhne hat bei uns die radikale Preisliberalisierung, nicht die administrativ-eingeführte Lohnfixierung geführt. Dieses Phänomen habe ich als das ungeplante Schaffen eines wichtigen und nützlichen „Transformationspolsters“ genannt, der viele Industriezweigen und Firmen gerettet hat. In Ostdeutschland sind die Löhne viel schneller gewachsen, was den dortigen Firmen viele Schwierigkeiten gebracht hat. 

3)       Der andere wichtige Transformationspolster war (und ist) mit der Existenz unserer eigenen Währung verbunden. Der Unterschied zwischen dem Nominalkurs und der Kaufkraftsparität, die die reale Stärke der Währung zeigte, erstellte einen anderen Transformationspolster, der das weitere Funktionieren der Wirtschaft ermöglichte und den Firmen die notwendige Luft zum Atmen brachte.

Ostdeutschland hat seine eigene Währung verloren. Die implizite radikale Aufwertung der Währung hat die dortigen Kosten erheblich hinaufgesetzt, was aber viele Firmen nicht überleben konnten. 

4)       Wir haben die Sozialzahlungen schrittweise erhöht, aber die einmalige Preiserhöhung, zu der nach der Preisliberalisierung gekommen ist, wurde nicht kompensiert. Wir haben bemerkt, dass im Ostdeutschland die Sozialzahlungen fast zu dem Niveau der westdeutschen Länder gestiegen sind. Das hat unter anderem zu einer Diskrepanz zwischen den Löhnen und den Sozialzahlungen geführt und ganz logisch auch zu der Senkung der Arbeitsmotivation. Das könnte man auch in der hohen Arbeitslosigkeit sehen.

5)       Die externe Finanzhilfe war für uns praktisch null. Die relativ kleinen Kredite von der Weltbank und dem IWF haben wir nur als einen „standby arrangement“ angenommen, d.h. nicht benutzt, und sehr bald zurückbezahlt. Ostdeutschland hat nicht nur Kredite, sondern auch riesige „fiscal transfers“ bekommen, die nicht zurückbezahlt werden mussten. 

Das war meine kurze Zusammenfassung der Unterschiede. Mehr zu diesem Thema habe ich vor zwei Jahren in einer Rede an der Technischen Universität Dresden gesagt, die auf meiner Internetseite zu finden ist. [1] Wir haben viele Erfahrungen angesammelt und ich bin überzeugt, dass sie für die Zukunft bewahrt werden müssen. 

Jetzt zu der heutigen Zeit. Wie Sie wissen, hat die Tschechische Republik im Januar den EU-Vorsitz für die erste Hälfte dieses Jahres übernommen. Das bringt mich zu Thema Europa. 

Ich bin für die europäische Integration, d.h. für die Öffnung, Liberalisierung und Beseitigung aller unnötigen Barrieren in Europa. Das möchte ich ganz klar und deutlich sagen. Ich bin aber nicht für die künstliche Unifizierung des europäischen Kontinents. Schon im März 1993 habe ich hier gesagt, dass „Europa niemals auf einer pan-europäischen Einheit – auf einem europäischen Staat – begründet war“ und dass es Europa „niemals gut gegangen ist, wenn jemand versucht hat, Europa – unter welcher Ideologie auch immer – zu vereinigen.“ Diese Formulationen muss ich heute nicht ändern.  

In meiner Rede im Europäischen Parlament in Brüssel [2] (und in meiner Rede im Forum Herausforderung Zukunft in Bochum [3] im Februar dieses Jahres habe ich – auf der einen Seite – über die starken Motivationen der Bürger der Tschechischen Republik zur Teilnahme an dem europäischen Integrationsprozess gesprochen. Auf der anderen Seite habe ich einige Tendenzen in der heutigen EU diskutiert, die ich als problematisch sehe – unter anderem die beschleunigte Vertiefung der politischen Integration und die Drehung vom Intergovernmentalismus zum Supranationalismus. 

Die Tendenzen, die ich heute in Europa sehe, sehe ich mit scharfen Augen von jemandem, der in der kommunistischen Ära eine erhöhte Empfindlichkeit zur Frage der Freiheit erworben hat. Das Wort Freiheit wird von vielen relativ oft benutzt, man stellt sich aber die Frage, ob es auch ernst genommen wird. Ich habe Angst, dass es nicht der Fall ist. 

Ich habe Angst auch davor, dass das nur wenige stört. Es könnte sein, dass man – mit dem Fall des Kommunismus und mit dem Verlust des Spiegels, den er dem Westen vorgehalten hat – das faktische Wesen unserer Zivilisation vergessen hat. 

Es scheint mir, dass es in den letzten Jahren oder Jahrzehnten in Europa zu einer wichtigen, aber nicht genug verstandenen, genug analysierten und genug diskutierten Verschiebung gekommen ist. Die Richtung der Verschiebung an der Achse Bürger-Staat und an der Achse Markt-zentralistische Regulierung und Reglementierung der Gesellschaft war ganz anders, als wir in den damaligen kommunistischen Ländern in dem glücklichen Moment des Falls des Kommunismus erwartet haben. Wir wollten näher am Bürger und am Markt und weiter vom Staat und seiner Regulierung sein als wir heute sind. Die formale Freiheit und Demokratie gibt es, in der Realität leben wir aber in einem mehr und mehr regulierten System und in einer Postdemokratie. 

Im wirtschaftlichen Bereich sehe ich nicht nur die heutige Finanz- und Wirtschaftskrise, die eine dramatische, aber trotzdem „nur“ zyklische, d. h. kurz- und mittelfristige Erscheinung darstellt. Ich sehe auch eine, seit langer Zeit existierende Untergrabung der Vorbedingungen für eine gesunde Wirtschaft, für ein positives Wirtschaftswachstum und für die allgemeine Prosperität. Das postbismarcksche Sozialsystem und die ganz unnötige Verteuerung der Energie und Begrenzung und Limitierung ihres Angebots auf Basis von irrationellen environmentalistischen Vorstellungen bremsen die Wirtschaft. Ich bin mir nicht sicher, ob die europäische Wirtschaft die Anspruchbarkeit des heutigen Sozialsystems und den Angriff des Environmentalismus (Ökologismus) überstehen kann. 

Ich bin davon überzeugt, dass das alles mit der institutionellen Entwicklung der Europäischen Union verbunden ist, was in den letzten Jahren meistens im Rahmen der Debatte über die Europäische Verfassung oder über den Lissabon-Vertrag diskutiert wurde. Die Debatte sollte aber ehrlich geführt werden. In Brüssel habe ich ganz eindeutig gesagt: Für uns, d. h. für die Tschechen, hatte der EU-Beitritt keine Alternative. Es existiert in unserem Lande keine relevante politische Kraft, die unsere EU-Mitgliedschaft in Frage stellen würde. Das zu sagen ist aber nur eine Hälfte meiner Aussage. Die zweite Hälfte sagt folgendes: Die Methoden und Formen der Europäischen Integration haben eine Reihe von Alternativen und Varianten. Das muss akzeptiert werden.

Den heute erreichten Status quo der institutionellen Anordnung der EU für ein für immer unkritisierbares Dogma zu halten, ist ein Fehler. Er steht im Gegensatz zur mehr als zwei Jahrtausende dauernden Geschichte der europäischen Zivilisation. Ein ähnlicher Fehler ist die apriorisch postulierte Voraussetzung der einzig möglichen und richtigen Zukunft der europäischen Integration, die die „ever-closer Union“, d. h. die tiefere und tiefere politische Integration der EU-Mitgliedsstaaten, darstellt. Eine solche „ever-closer Union“ führt zu Defekten, die man heute in Europa als demokratisches Defizit, als Accountabilitätsverlust, als Entscheidungen der Auserwählten, nicht Gewählten, als Bürokratisierung und Technokratisierung der Entscheidungen, bezeichnet. Wir sollten nicht die Entstehung solcher Situation zulassen, in der die Bürger mit dem Gefühl der Resignation leben würden, weil ihnen das EU-Projekt fremd wäre. 

Meine ernstgemeinte Frage ist: dürfen wir diesen angetretenen Kurs weiter fortsetzen oder brauchen wir eine deutliche Wende dieses Kurses? Ich bin der Meinung, dass eine Unterbrechung der heutigen Entwicklung notwendig ist, weil die passive Extrapolation der Gegenwart keine guten Perspektiven bringt.

Was wir jetzt – mehr als je zuvor – brauchen, ist die Fortsetzung einer freien Diskussion. Unsere unfreiwillige Erfahrung des Lebens im autoritativen  kommunistischen System hat uns gezeigt, dass ein freier Meinungsaustausch eine notwendige Bedingung für eine wirkliche, funktionierende Demokratie darstellt. Nur das kann die heutige Europäische Union freier, demokratischer und prosperierender machen.

Am Ende wollte ich ursprünglich noch ein paar Bemerkungen zum Thema der heutigen Wirtschaftskrise machen, wie sie Conrad Peutinger sehen würde. Leider habe ich ihn nicht genügend studiert. Trotzdem glaube ich, dass er kein fanatischer Keynesianer wäre. Er wüsste, dass die heutigen riesigen und auf allen Seiten des politischen Spektrums so populären Staatshaushaltsinjektionen in die Wirtschaft nur eine Pseudomedizin sind. Er wüsste auch, dass die heutige Krise nicht wegen der Absenz der Gesamtnachfrage entstanden ist, und er würde deshalb nicht Keynes, sondern Hayek zur Hilfe rufen. Er würde sich für mehr Freiheit, Markt, und spontane Evolution einsetzen, nicht für Rekordverschuldung der Länder, wöchentliche Wochenende-Gipfeltreffen der führenden Politiker, global governance und mehr Regulation. Er ist leider nicht mehr mit uns und wir müssen die Argumente selbst anbringen. Meine Position dazu ist – hoffentlich – klar. 

Václav Klaus, Rede anlässlich der Verleihung der Goldenen Peutinger Medaille, Max-Joseph-Saal, Münchener Residenz, München, 18. Mai 2009



[1] - „Komparative Analyse der Transformation im Multavialand und Albisland“, Rede bei der Verleihung des Ehrendoktorates der Wirtschaftswissenschaften, Technische Universität Dresden, 23. Februar 2007; 

[2] - Rede des tschechischen Präsidenten im Europäischen Parlament, Václav Klaus, Europäisches Parlament, Brüssel, 19. Februar 2009;

[3] - Was sagt uns die heutige Zeit über Europas Zukunft?, Václav Klaus, Rede im Rahmen des Projektes Herausforderung Zukunft, Christuskirche, Bochum,
19. Februar 2009;

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