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Europa am Ende des Jahrhunderts

Deutsche Seiten, 8. 10. 1999

Ich möchte hier heute abend ein paar Worte zu der Situation in Europa am Ende des Jahrhunderts sagen und zwar vom Blickpunkt eines Landes, das – nach einem halben Jahrhundert Kommunismus – ein normales Land werden möchte und das alles tut, was in seinen Kräften steht, um der Europäischen Union so bald wie möglich beizutreten. Vom Blickpunkt eines Landes, das weiss, dass der europäische Integrationsprozess eine Realität darstellt, die keine Alternative hat, aber das gleichzeitig denkt, dass die heutige Form dieses Prozesses – die Unifikation à la Maastricht – nicht die beste Variante ist, die Europa wählen konnte.

Europa hat noch heute zwei Teilen, Ost und West. Wir nähern uns dem Ende eines Jahrzehnts, das – vor 10 Jahren – in Ländern Mittel- und Osteuropa mit grossen Hoffnungen begonnen hatte. Heute herrscht hier eine gewisse Enttäuschung. Nach dem Kollaps des Kommunismus (und ich spreche immer und bewusst von einem Kollaps, denn der Kommunismus wurde nicht niedergeschlagen) und nach Beendigung (oder wenigstens einer deutlichen Abschwächung) des Ost-West-Konflikts waren fast alle der Meinung, dass für Europa, wie auch für die gesamte Welt, eine ausserordentlich günstige Periode beginnt. Es schien, dass das Ende des Kommunismus – in Ländern wie Tschechische Republik – sofortige, greifbare, messbare und in jedem Falle ausschliesslich positive Effekte bringen werde.

Es wurde vergessen, dass jede tiefgreifende Veränderung des gesellschaftlichen Systems (und zwar jedes Systems), die Veränderung der Regeln seines Funktionierens, die Veränderung der bestehenden Institutionen, und die Veränderung äusserer Bedingungen, unter denen es funktioniert, zuerst einen grossen Schock bringt. Solche Umwandlung ist notwendigerweise sehr kostspielig. Das führt dazu, dass die Kosten dieses unikaten historischen Manövers in der ersten Phase deutlich dessen Erträge übersteigen. Dank dieser Tatsache (und Dank der enormen und schnell anwachsenden Erwartungen) hat sich im Verlaufe des letzten Jahrzehnts in allen Reformländern die Lücke zwischen Erwartungen und Realität nicht verringert, sondern vergrössert. Und das sage ich mit dem Wissen und der tiefen Überzeugung, dass die Verbesserung der Realität und auch des Lebensstandards der Menschen in den postkommunistischen Ländern in den neunziger Jahren wirklich evident ist und ausser Frage steht. Nichtsdestoweniger dominieren Gefühle (unlängst meinte jemand nett: „perception is always rights“).

Alle erwarteten, dass die Transformation dieser Länder einen geradlinigen, linearen Prozess darstellt, der politisch nur durch den Widerstand der kommunistischen Parteien und anderer Anhänger des ehemaligen Regimes gebremst werden könnte. Es zeigt sich aber, dass auch diese Annahme ein Irrtum war. Die Kommunisten waren – besonders zu Beginn – so isoliert, eingeschüchtert und deprimiert (was heute auf keinen Fall mehr ist), dass sie mehr oder weniger eine marginale Rolle gespielt haben. Zur Bremse der Geradlinigkeit des Transformationsprozesses wurden ganz legitime, aber trotzdem zum Liberalismus alternative Ideologien, die die Möglichkeit erhielten, in die plötzlich geöffnete, volldemokratische, extrem antiautoritative Gesellschaft (als übertriebene Reaktion auf die Vergangenheit), ihre, manchmal sehr extremen und ohne Zweifel partiellen Haltungen einzubringen und damit die Realität der Transformation zu beeinflussen.

Wenn ich das sage, zweifle ich nicht an der Legitimität dieser Haltungen. Diese Haltungen, die in der normalen westeuropäischen Gesellschaft nur die „Würze“ ihres hochstabilisierten Systems darstellen und nur die Einzelheiten „at the margin“ (am Rande) hinzufügen oder abnehmen, bei uns die Substanz des Streites um den Charakter des Landes und seines Systems bedeuteten.

In jedem Falle muss ich die empirisch dokumentierte Wahrheit akzeptieren, dass es in der zweiten Hälfte der neunziger Jahre in allen Reformländern Mittel- und Osteuropas sowie in „emerging markets“ anderer Kontinente zum markanten Anwachsen der Instabilität kam. Von aussen wird die Schuld diesen Ländern, ihrer Unreife und ihren Fehlern zugeschoben. Dass sie unreif sind und Fehler machen, ist sicher wahr, trotzdem kann das nicht die Ursache für die Verstärkung derer heutigen Probleme sein. Mögen wir über diese Länder denken, was wir wollen, ihre Unreife und Unvollkommenheit hat sich mit der Zeit, das heisst im Laufe dieses Jahrzehnts, bestimmt verringert. Nicht umgekehrt.

Ihr heutiger Zustand ist eine notwendige Entwicklungsetappe, die nicht übersprungen werden kann. In einer idealen Welt oder im Laboratorium eines Sozialingenieurs könnte alles völlig anders aussehen, doch in der komplizierten Realität einer offenen, pluralistischen und ausserordentlich demokratischen Gesellschaft kann das leider nicht anders ausschauen. Die zerbrechlichen und verwundbaren, aber trotzdem schnell geöffneten Märkte kämpfen in den letzten Jahren mit einer neuen Phase der weltweiten Globalisierung, und besonders mit liberalisierten Kapitalmärkte und mit schnellen Bewegungen des Kapitals (von Zusammenstössen mit dem protektionistischen Europa ganz zu schweigen), und das Ergebnis dieser Kombination konnte nichts anderes als die heutige Krisensituation in einer Reihe von Ländern Südostasiens, Lateinamerikas und auch Mittel- und Osteuropas sein.

Ein zusätzliches Problem kam durch die Bewältigungsversuche dieser Krise, die – in Form extrem restriktiver Geldpolitik und hauptsächlich mittels hoher realer Zinssätze – der Internationale Währungsfonds und andere Internationale Finanzinstitutionen diesen Ländern, und zwar absolut unnötig, ordinierten. Diese Behandlung heilte die Unreife und Verwundbarkeit dieser Länder nicht, sondern im Gegenteil: sie vertiefte die Krise.

Dank all diesen Umständen war die früher mehr oder weniger angenommene Transformationstrategie angezweifelt worden, was in allen diesen Ländern die heutige politische Situation kompliziert.

Ein nicht geringes Problem sehe ich auch in Westeuropa. Das Problem sehe ich in den heutigen Unifikationstendenzen, die meines Erachtens nur ein Ersatzprojekt darstellen. Dieses wird anstelle eines anderen, weit erforderlicheren Projekts realisiert – anstelle des Projekts der konsequenten Liberalisierung Europas im Sinne klassischer liberaler Prinzipien.

Die heutige Form der europäischen Unifikation ist aus meiner Sicht das Produkt des „dritten Weges“ in der europäischen Politik. Argumente zu dieser Haltung gibt es in unerschöpflichen Mengen. Es beginnt beispielsweise mit der beinahe panischen Furcht der Mehrheit europäischer Politiker, das Wort „die Rechte“ zu gebrauchen. Man sieht, dass jeder Politiker in Europa heute zur Mitte marschiert. Das ist kein Zufall. Das ist der Ausdruck des ausserordentlichen Erfolgs einer besonderen Ideologie, die als „Ende der Ideologien“ bezeichnet wird. Diese neumodische Ideologie ist die neue Version des Versuchs einer unpolitischen Politik und bedeutet die Anknüpfung an altbekannte kollektivistische, unliberale Konzeptionen, wie den Syndikalismus und den Korporativismus. Sie ist auch der Versuch eines modernistischen, technokratischen Konstruktivismus.

Auch die heutige Version der Europäischen Union ist ein solches apolitisches Projekt und gerade darin liegt ihr Problem. Wenigstens für mich. Der Versuch der Schaffung des „universal welfare state“ oder – vielleicht anschaulicher – in deutsch des „Vater Staates“ und die Betonung auf „Bündnis für Arbeit“ (alliance for work) sind eindeutige und klare Konzepte dieses „dritten Wegs“, vor dem ich mir erlaube zu warnen. Ich stehe mit dieser Warnung nicht allein, obgleich mein Warnen wahrscheinlich auf einer bestimmten Überempfindlichkeit meinerseits basiert, die mit der Erfahrung zusammenhängt, den Grossteil meines Lebens unter dem kommunistischen Regime verbracht zu haben.

Ich habe Angst, dass diese Frage im heutigen Europa nicht in dieser Schärfe verstanden wird. Ich bin aber davon überzeugt, dass dies ein grosser Fehler ist. Wir dürfen nicht zulassen, dass dieser Fehler auch in den nachfolgenden Jahren fortgesetzt wird. Ich gehe davon aus, dass wir in dieser Hinsicht in einem gemeinsamen Boot sitzen. Und dieses Boot heisst Europa.

Václav Klaus, Prager Burg, 8. October 1999

(Bemerkungen zur Rede gehaltene aus dem Anlass der Begegnung des Beraters der Bayerischen HypoVereinsbank, der Spanisch Saal der Prager Burg)

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