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Auftritt des Präsidenten der Republik anlässlich der Verhandlung des Verfassungsgerichtes über den Vertrag von Lissabon

Deutsche Seiten, 25. 11. 2008

Sehr geehrter Herr Vorsitzender, sehr geehrte Richterinnen und sehr geehrte Richter des Verfassungsgerichtes,

ich komme zu der heutigen Verhandlung, da ich durch das Verfassungsgericht aufgefordert wurde, mich zum Antrag des Senats des Parlaments der Tschechischen Republik auf die Beurteilung des Einklangs des am 13. Dezember 2007 in Lissabon verfassten Vertrags von Lissabon zur Änderung des Vertrags über die Europäische Union und des Vertrags zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft mit der Verfassungsordnung der Tschechischen Republik zu äußern.

Gleich zu Beginn möchte ich betonen, dass ich wohl weiß, dass für das Verfassungsgericht bei dieser Aufgabe insbesondere die rechtlichen Argumente und Stellungnahmen von Relevanz sind. Und auf diese werde ich mich auch in meinem Auftritt konzentrieren.

Dennoch ist es offensichtlich, dass wir auch den breiteren Kontext in Betracht ziehen müssen. Sollte dieser Vertrag in Kraft treten, so werden sowohl die internationale Stellung, als auch die Innenverhältnisse unseres Staates geändert. Auch das Gewicht unseres Landes bei der Entscheidungsfindung in der Europäischen Union wird geschwächt. Durch all dies werden die Bedingungen unserer Mitgliedschaft geändert, zu denen unsere Bürger im Referendum zum Beitrittsvertrag ihre Zustimmung erklärten. Die demokratisch konstituierten Organe unseres Staates werden das Recht verlieren, über etliche Bereiche des öffentlichen Lebens zu entscheiden, und diese Rechte werden in die Hände der Gemeinschaftsorgane übergeben, die keiner zusätzlichen demokratischen Kontrolle unterliegen. Den Organen der Europäischen Union wird zudem noch ermöglicht, ihre Befugnisse über die Angelegenheiten des Lebens unseres Landes und seiner Bürger nach ihrem Ermessen und ohne unsere Zustimmung zu erweitern.

Unsere Entscheidung über solch prinzipielle Sachen, wie den Vertrag von Lissabon, darf also kein Ergebnis ausländischer Dränge oder momentaner kurzfristiger Interessen einiger unserer Politiker sein. Es darf auch keine Folge naiver Illusionen über die Realität der internationalen Politik sein, die uns in der Vergangenheit bereits so oft enttäuscht haben. Die Entscheidung über den Vertrag von Lissabon wird nämlich nicht nur für heute oder für wenige künftige Jahre getroffen. Wir verpflichten dadurch auch die künftigen Generationen. Die heutige Verhandlung des Verfassungsgerichtes ist daher aus meiner Sicht in der Geschichte dieser Institution ganz entscheidend. Ihre Entscheidung wird wahrscheinlich die wichtigste Entscheidung sein, die Sie je treffen werden.

Ich gehe davon aus, dass Sie bei ihrer Verhandlung auf meine Stellungnahme vom Juni diesen Jahres explizit reagieren werden. Ich werde diese hier nicht wiederholen, ich glaube jedoch, dass hier zumindest kurz diejenige meiner damaligen Fragen ins Gedächtnis zu rufen sind, die ich auch nun, nach einem gewissen Zeitabstand, als die wichtigsten erachte:

Erstens, ob die Tschechische Republik – nach einem eventuellen Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon – nach wie vor ein souveräner, demokratischer Rechtsstaat bleibt? 

Zweitens, ob die Tschechische Republik nach wie vor ein vollwertiges Mitglied der internationalen Gemeinschaft bleibt, das in der Lage ist, selbständig und lückenlos Verpflichtungen einzuhalten, die sich für dieses aus dem internationalen Recht ergeben? 

Drittens, ob die Europäische Union eine internationale Organisation bleibt, oder ob sie zu einem föderativen Staat (bzw. einem beliebig anders benannten Subjekt mit charakteristischen Merkmalen eines föderativen Staats) wird, und ob unsere Verfassung erlaubt, dass die Tschechische Republik zu einem Bestandteil eines Staates diesen Typs wird?

Ihre klaren und eindeutigen Antworten auf diese Fragen halte ich für eine der unerlässlichen Voraussetzungen dafür, dass – bei der hypothetischen Möglichkeit, dass in der Zukunft die Iren deren Meinung ändern – auch in der Tschechischen Republik der Prozess zur Ratifizierung des Vertrages von Lissabon fortgesetzt werden kann.

An Ihrer heutigen Verhandlung nehme ich nicht nur deshalb teil, um hier diese elementaren, jedoch ganz essentiellen Fragen ins Gedächtnis zu rufen. Es gibt hier auch einen weiteren, neuen Umstand und zwar die Stellungnahme der Regierung vom 27. Juni diesen Jahres. Die Regierung stützte hierbei ihre Argumente auf die Rechtsdoktrin des sog. materiellen Verfassungskerns und kam auf dieser Grundlage zum Schluss, dass der Vertrag von Lissabon im Einklang mit unserer Verfassung ist. Meiner Meinung nach ist es genau das Gegenteil.

Etwas überraschend ist selbst die Tatsache, dass sich die Regierung auf diese Doktrin beruft, da es sich dabei um keine durch die Zeit geprüfte und bewährte Doktrin handelt. Zum ersten Mal wurde sie bei uns erst im Jahre 2006 angewandt. Formuliert wurde sie in Deutschland im Zusammenhang mit einer Bestimmung des deutschen Grundgesetzes, die verbietet, wesentliche Erfordernisse eines demokratischen Staats zu ändern. Sie wurde bei Verfassungsgerichten beliebt, da diese auf ihrer Grundlage zu Allein-Arbitern in der Entscheidung darüber werden, welcher Teil der Verfassung bedeutend und wichtig ist und welcher nicht. Jedenfalls sind es im Grunde genommen subjektive Entscheidungen, da die allgemeine Rechtstheorie keine klare Definition besitzt, welche Elemente der Verfassung ihren angeblichen materiellen Kern bilden. Ich habe prinzipielle Zweifel an diesem Ansatz, stelle jedoch fest, dass die Regierung diese Doktrin als die Basis ihrer Stellungnahme zum Vertrag von Lissabon akzeptierte, und deshalb versuche auch ich, diesen Vertrag mit dieser Optik zu beurteilen.

Mit der Verfassungsordnung der Tschechischen Republik ist der Vertrag von Lissabon nicht im Einklang. Er steht im Widerspruch nicht nur zu den Teilbestimmungen der Verfassung, was gegebenenfalls durch eine Novelle geändert werden könnte, aber auf keinen Fall kann dies nicht so behandelt werden, wie die Regierung annimmt – und zwar durch eine Deutung der Verabschiedung des Vertrags von Lissabon als einer indirekten Verfassungsänderung. Es steht auch im Widerspruch zu den elementaren Verfassungsgrundsätzen, die – gerade nach der Doktrin des materiellen Verfassungskerns – unberührbar und unveränderlich sind. Der Artikel 9 unserer Verfassung, auf den sich die Anwendung dieser Doktrin stütz, lautet:

„(1) Die Verfassung kann nur durch Verfassungsgesetze vervollständigt oder geändert werden.

(2) Die Änderung wesentlicher Erfordernisse eines demokratischen Rechtsstaates ist unzulässig.

(3) Durch die Auslegung von Rechtsnormen darf die Abschaffung oder Gefährdung der Grundlagen des demokratischen Staats nicht gerechtfertigt werden.“

Entscheidend im Kontext unserer heutigen Verhandlung sind die Absätze (2) und (3). 

Gewiss ist es unbestreitbar, dass die Grundlage der Verfassung, und daher auch ihres hypothetischen materiellen Kerns, der Grundsatz der Staatshoheit ist, was auch das tschechische Verfassungsgericht vor zwei Jahren in seinem Urteil feststellte. Sie haben dies in der Rechtssache sog. Zuckerquoten getan, als Sie abgelehnt haben, die Doktrin des Europäischen Gerichtshofs über den absoluten Vorrang des gemeinschaftlichen Rechts anzuerkennen und als Sie festgestellt haben, dass – ich zitiere – „die Übertragung der Kompetenzen auf die Organe der Europäischen Union nur unter der Voraussetzung andauern darf, dass diese Kompetenzen auf eine solche Weise ausgeübt werden, die mit der Aufrechterhaltung der staatlichen Souveränität der Tschechischen Republik vereinbar ist und die die Grundlage des demokratischen Rechtsstaats nicht gefährdet.“ Ende des Zitats.

Es ist ein ganz prinzipieller Beschluss, mit dem ich mich identifiziere. Er bestätigt, dass die Tschechische Republik – im Gegenteil zu der absoluten Mehrheit der EU-Länder – zu keinem Teilsubjekt eines föderativen Staats (oder eines Staats föderativen Typs) werden darf. Der Verzicht auf die Souveränität wäre gemäß dem Urteil des Verfassungsgerichtes Nr. 154/2006 Slg. ungültig, da er im Widerspruch zum Artikel 9. der Verfassung stehen würde.

Es ist kein überraschender Beschluss, da es offensichtlich ist, dass auf einem Gebiet keine zwei Souveräne gleichzeitig existieren können. Wir würden immer vor der Frage stehen, wer von diesen den Vorrang hat, wer die Befugnis besitzt darüber zu entscheiden, welche Kompetenzen auf die Organe der Europäischen Union zu übertragen sind und welche dem Mitgliedstaat bleiben sollen. Es geht also darum, wem diese sog. „Kompetenz-Kompetenzen“ obliegen sollen.

Dieses Thema ist nicht neu. Unsere Verfassung mussten wir bereits vor dem EU-Beitritt ändern, aber auch die damalige, sog. Euro-Novelle der Verfassung musste den Artikel 9 der Verfassung der Tschechischen Republik respektieren. Deshalb ermöglichte sie, auf die Organe der Europäischen Union nur einige konkrete Kompetenzen der Organe der Tschechischen Republik zu übertragen, sie erlaubte jedoch nicht, unsere Souveränität zu übertragen. Damit wurde gesagt, dass bei jeder beliebigen Übertragung von Kompetenzen die zu übertragenden Kompetenzen explizit und eindeutig zu definieren sind, und dass es keine Möglichkeit geben darf, dass die EU-Organe den Umfang der zu übertragenden Kompetenzen selbst auslegen oder dass sie sogar von sich selbst weitere Kompetenzen unseres Landes auf sich übertragen können, ohne dass wir keine Möglichkeit haben, damit nicht einverstanden zu sein und sich – wie heute – an das Verfassungsgericht der Tschechischen Republik wenden zu können, um dies zu beurteilen. Der Vertrag von Lissabon schränkt auch die Kompetenzen dieses Gerichtes ein. Deshalb darf auch jetzt diese „Kompetenz-Kompetenz“ den Organen der Europäischen Union nicht übergeben werden.

Zu dem Prinzip der Staatshoheit stehen folgende Bestimmungen des Vertrags von Lissabon in absolutem Widerspruch: 

-                      das Konzept der Teilung von Zuständigkeiten gemäß Artikel 4 der konsolidierten Fassung des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union;

-                      das Erlassen von Vorschriften über den Rahmen der gemeinschaftlichen Kompetenzen hinaus, „sofern dies erforderlich erscheint, um eines der Ziele der Verträge zu verwirklichen“ gemäß Artikel 352 Abs. 1 der konsolidierten Fassung des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union, was die sog. Ermächtigungsklausel oder anders die Flexibilitätsklausel ist;

-                      die vereinfachte Vorgehensweise für die Verabschiedung von Änderungen des primären Rechts gemäß Art. 48 des Vertrages über Europäische Union, sog. passerella. Diese ermöglicht, die Verträge zur Gründung der EU und dadurch – unmittelbar – auch unsere Rechtsordnung nur durch einen Beschluss des EU-Rates zu ändern.

Äußerst umstritten ist auch die sog. Doktrin impliziter Außenkompetenzen, die durch den Europäischen Gerichtshof im Jahre 2006 formuliert wurde. Diese ermöglicht der Europäischen Union auch internationale Verträge über den Rahmen ihrer Kompetenzen hinaus abzuschließen. Es reicht dazu, dass die Union erklärt, der Abschluss eines solchen Vertrages sei erforderlich, um die Ziele der Verträge im Rahmen der Unions-Politiken zu verwirklichen. Auf dieser Kompetenz der Union ist nicht nur ihre ganz vage Definition alarmierend, sondern auch die Tatsache, dass diese bereits angewandt wird, obwohl sie erst durch den Vertrag von Lissabon, Artikel 216 der konsolidierten Fassung des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union, kodifiziert und rückwirkend legalisiert werden soll.

Der Vertrag von Lissabon eröffnet somit einen Prozess, auf dessen Ende eine souveräne Europäische Union steht, die durch Verordnungen oder eine andere einseitige Form Normen und Regeln für die einzelnen Mitgliedstaaten sowie für die Bürger dieser Staaten festsetzen wird. Die Verfassungen der Staaten werden nicht mehr die Quellen der Rechtsordnungen einzelner Mitgliedstaaten sein. Im Gegenteil, diese Rechtsordnungen werden in einer solchen Situation ihre Existenz von einer (wie auch immer bezeichneten) Verfassung der Europäischen Union ableiten und mit ihr im Einklang sein müssen.

Besonders alarmierend ist die Tatsache, dass diese prinzipielle Einschränkung der Souveränität der Tschechischen Republik und anderer EU-Mitgliedstaaten im Text des Vertrags von Lissabon nicht klar und offen formuliert ist und dass sie nicht ausdrücklich als Vorhaben und Ziel der Anordnung bezeichnet wird, die dieser Vertrag bringen soll. Die Einschränkung der Souveränität wird verdeckt, implizit eingeführt, sie ist in unübersichtlichen Artikeln und Bestimmungen verschlüsselt. Der Vertrag von Lissabon, sofern er in Kraft tritt, ermächtigt – ohne dass dies von der europäischen Öffentlichkeit geahnt wird – die Organe der Europäischen Union dazu, durch ihre Entscheidungsfindung die Souveränität der Mitgliedstaaten beliebig einzuschränken. Dies ist nicht akzeptabel. Die Stärkung der europäischen Integration darf weder verdeckt, hinter den Rücken der Bürger der Mitgliedstaaten verlaufen, noch darf sie ihnen gegen ihren Willen aufgezwungen werden. Das würde nicht nur im Widerspruch zum Artikel 9, sondern auch im Widerspruch zum Artikel 1 unserer Verfassung stehen. Der einzig mögliche Schluss, der gefasst werden kann, ist der, dass der Vertrag vom Lissabon im Widerspruch zum Grundsatz der Souveränität des tschechischen Staates steht. 

Ein weiteres, genauso wichtiges Element des sog. materiellen Kerns der Verfassung ist der Prinzip der Souveränität des Volkes. „Das Volk ist die Quelle sämtlicher Staatsmacht“, sagt unsere Verfassung. Die Tschechische Republik konstituierte sich dadurch als ein demokratischer Staat. Es ist das klar definierte, historisch authentische Volk, der politisch identifizierbare Demos, wer der tschechische Souverän und der Träger der Souveränität des tschechischen Staates ist. Von seiner Macht wird unser ganzes Verfassungs- und Rechtssystem sowie das politische System abgewickelt.

Deshalb ist es hier angebracht, sich die Frage zu stellen, wer die Quelle der rechtlichen und politischen Macht in der Europäischen Union ist? Das Volk ist es auf keinen Fall, da es kein „europäisches Volk“, Demos, gibt. Die Macht wird in der EU von den aufgrund zwischenstaatlicher Abkommen oder Verträge gebildeten Institutionen abgeleitet. Diese Auffassung der Macht steht jedoch im prinzipiellen Widerspruch zur Auffassung des Staates, so wie er durch die tschechische Verfassung definiert wird. Daraus ergeben sich auch andere Fragen: Wäre nach der Verabschiedung des Vertrags von Lissabon die Europäische Union eine genauso demokratische Institution wie die heutige Tschechische Republik? Und umgekehrt, würde die Tschechische Republik genauso demokratisch wie bis jetzt bleiben? Hat die Europäische Union eine ausreichend strukturierte Machtteilung und ausreichende Kontroll- und Berufungsmechanismen? Basiert ihr politisches System auf einer freien und freiwilligen Entstehung und freiem Wettbewerb politischer Parteien? Ist es möglich, durch die Wahl der Opposition die bestehenden Organe der Europäischen Union auszutauschen? Ähnliche prinzipielle Fragen gäbe es viele.

Sollte der Vertrag von Lissabon in Kraft treten, wäre es dadurch möglich, „von oben“, aus Europa, exekutiv auch das durchzusetzen, was kein nationales Parlament jemals verabschieden würde. Es wäre dadurch die Möglichkeit vertieft, nationale gesetzgebende Körper umzugehen, was in den Mitgliedstaaten, einschließlich der Tschechischen Republik, die Demokratie grundsätzlich schwächen würde. Der Vertrag von Lissabon steht daher im Widerspruch zum verfassungsrechtlichen Grundsatz der Souveränität des tschechischen Volkes.

Nicht nur das. Wird die Macht des tschechischen Volkes zu Gunsten der Macht der EU-Organe so prinzipiell eingeschränkt, so werden dadurch in gleichem Umfang zwangsweise auch andere Grundsätze unserer Verfassung eingeschränkt – der Grundsatz des Schutzes der persönlichen Freiheit, der Grundsatz der Teilung öffentlicher Macht, der Grundsatz der Herrschaft des Gesetzes und der Gleichheit vor dem Gesetz sowie der Grundsatz der Rechtssicherheit. Die Tschechische Republik könnte diese nur im Umfang der Macht gewährleisten, die ihr durch die EU-Organe überlassen wird.

Das nächste essentiale Element der Doktrin des materiellen Verfassungskerns ist auch die Tatsache, dass die Tschechische Republik – gemäß Art. 1 ihrer Verfassung – nicht nur ein demokratischer Staat, sondern auch ein Rechtsstaat ist. Sein Wesen ist, dass Regeln vorab gegeben und bekannt sind. Der Vertrag von Lissabon steht im Widerspruch zu diesem Grundsatz nicht nur infolge seiner Unübersichtlichkeit, sondern auch infolge der Mehrdeutigkeit seiner Kompetenzbestimmungen. Diese Bestimmungen werden durch die Organe der Europäischen Union ausgelegt und durchgeführt, die durch die Tendenz bekannt sind, die EU-Kompetenzen so breit wie möglich zu deuten.

Mit allen diesen Argumenten erachte ich als nachgewiesen, dass der Vertrag von Lissabon im Widerspruch zu allen grundlegenden verfassungsrechtlichen Prinzipien steht, die als sog. materieller Verfassungskern verstanden werden. Dass er im Widerspruch zu vielen konkreten Bestimmungen der Verfassung steht, ist offensichtlich. Die Regierung ist jedoch der Meinung, dass dieser Widerspruch zum Text der Verfassung unwichtig sei, da der Vertrag von Lissabon, sofern er verabschiedet wird, die Verfassung de facto indirekt novelliert, da er automatisch zum Bestandteil der Verfassung wird.

Dieser Stellung der Regierung ist falsch, da der Artikel 112 der Verfassung als Bestandteile der Verfassungsordnung nur die Verfassung der Tschechischen Republik selbst, die Akte der Grundrechte und Grundfreiheiten sowie die Verfassungsgesetze taxativ nennt. Er nennt keine internationalen Verträge, sogar erwähnt er auch keine Verträge, die im Artikel 10a der Verfassung genannt sind. Internationale Verträge werden auch im bereits zitierten Artikel 9 der Verfassung erwähnt. Dagegen gerade dieser Artikel gibt ausdrücklich an, dass eine Änderung oder Vervollständigung der Verfassung nur in Form eines Verfassungsgesetzes möglich ist. Daraus ergibt sich, dass auch wenn gemäß Artikel 10 alle durch das Parlament verabschiedeten internationalen Verträge Vorrang vor Gesetzen haben, erreichen diese nicht die Kraft der Verfassungsgesetze, oder sie bilden nicht die Verfassung und können daher nicht ihr Bestandteil werden.

Abschließend möchte ich meine Überzeugung äußern, dass der Zweck des Verfahrens über den Einklang der internationalen Verträge gemäß Art. 10a und Art. 49 der Verfassung mit unserer Verfassungsordnung eine vorbeugende Beseitigung von Situationen ist, in denen die Tschechische Republik eine internationale Verpflichtung eingehen würde, die im Widerspruch zu der Verfassungsordnung stehen würde. Deshalb bin ich der Meinung, dass das Verfassungsgericht – bei Zweifeln über die Übereinstimmung oder Nicht-Übereinstimmung des internationalen Vertrags mit der Verfassungsordnung – eher den Beschluss über seinen Widerspruch zur Verfassung fassen sollte. In diesem Zusammenhang möchte ich mich auf den Kommentar von Eliška Wagnerová und anderen Autoren zum Gesetz über das Verfassungsgericht hinweisen, welcher vom Verlag ASPI im letzten Jahr ausgegeben wurde. Hier steht: „Das Verfassungsgericht sollte in diesem Typ des Verfahrens nicht versuchen, den Widerspruch durch eine konforme Auslegung in der einen oder anderen Richtung zu beheben... Jegliche Zweifel an der Unstimmigkeit sollte ihn eher zum Beschluss über den inhaltlichen Widerspruch führen.“ Der Beschluss sollte daher bei Zweifel immer zu Gunsten der Verfassungsordnung sein, nicht dagegen.

Sehr geehrter Herr Vorsitzender, sehr geehrte Richterinnen und sehr geehrte Richter, ich glaube, dass diese meine neuen Argumente den Beschluss stärken, dass der Inhalt des Vertrags von Lissabon im Widerspruch zu unserer Verfassungsordnung steht und dass Sie sich mit diesen identifizieren.

Es freut mich, dass diese Verhandlung öffentlich ist. Es gibt der Öffentlichkeit die Möglichkeit, die Argumente direkt, und nicht in einer vermittelten und oft verzerrten Form zu hören.

Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.

Václav Klaus, Verfassungsgericht, Brno, 25. November 2008

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