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Nach vier Jahren wieder eine Dresdner Rede über Europa

Deutsche Seiten, 19. 3. 2012

Vielen Dank für die Einladung zu dieser wichtigen und bei uns in der Tschechischen Republik nichtexistierenden Veranstaltung, vielen Dank für die Möglichkeit wieder einmal in Ihrer schönen Stadt zu sein.

Das letzte Mal habe ich hier in Dresden über Europa im Oktober 2008 im Rahmen eines „Kamingespräches“ bei der Ministerpräsidentenkonferenz der deutschen Länder gesprochen. In der Zwischenzeit, in diesen vier Jahren, ist es in Europa viel geschehen, aber – ebenso – manches ist leider ohne Veränderung geblieben. Damit meine ich nicht nur die wunderschönen Kirchen und Paläste dieser Stadt. Mehr oder weniger unverändert blieb, besonders hier in Deutschland, auch der Glaube an die dominierend positiven Effekte der – ohne Zweifel – zu künstlichen und beschleunigten, dass heißt nicht spontan entstehenden Unifizierung des europäischen Kontinents, die vor unseren Augen verläuft.

Mein damaliger Auftritt hier in Dresden war noch in den relativ ruhigen und optimistischen Tagen vor dem Anfang nicht nur der euroamerikanischen Finanz- und Wirtschaftskrise, sondern auch der Eurozoneverschuldungskrise. Mein Publikum wollte nichts Kritisches oder Negatives über die Entwicklung in Europa hören. Heute sehen es hoffentlich viele ganz anders. Schon damals habe ich vor dem naiven Optimismus verschiedener Eurokraten gewarnt und habe mich bemüht, über die langfristigen Tendenzen, die diese Leute nicht genügend wahrgenommen haben, zu sprechen.

Ich erinnere mich, dass ich die Frage gestellt habe, wohin gehen wir und als eine Argumentationshilfe habe ich den weltbekannten tschechischen Schriftsteller und Dramatiker Milan Kundera zitiert, der am Ende seines Theaterstückes „Jacob der Fatalist“ zu dieser Frage sagte: „Vorwärts, aber wohin ist vorwärts?“ Nach dieser Antwort blieb der Hauptprotagonist des Stückes wie gelähmt stehen.

Die Situation in Europa vor vier Jahren habe ich sehr ähnlich empfunden. Es scheinte mir, dass Europa auf der Stelle stehengeblieben ist. Ich hatte und habe Angst, dass Freiheit sowie Prosperität in Europa bedroht wurden. Deshalb habe ich vorgeschlagen, dass wir – um vorwärts gehen zu können – erstmal ein paar Schritte zurückgehen müssen. Zurück zu den Wurzeln, auf denen Europa ihre historische Erfolge, ihre Freiheit und ihre Prosperität aufgebaut hat. Heute fühle ich es noch stärker.

Was habe ich schon damals in Europa gesehen? An der Achse Bürger vs. Staat und an der Achse Markt vs. zentralistische und bürokratische Regulierung und Reglementierung unserer Wirtschaft habe ich – und bestimmt nicht nur ich – eine gefährliche Entwicklung bemerken. Man musste auch das wachsende Pharisäertum der politischen Korrektheit und die beschädigte parlamentarische Demokratie oder sogar Postdemokratie sehen. Mann musste die ständig steigenden Ansprüche der Menschen (und der ganzen Gesellschaften) beobachten, die – wegen der zu generösen Sozialpolitik – von den Leistungen abgetrennt und sogar immunisiert wurden. Man musste sich auch die Frage stellen, ob die europäische Wirtschaft die Maßnahmen, die von der Ideologie des Environmentalisms (oder Ökologismus) kommen, überstehen kann.

Die Herausforderung, vor der Europa heute steht, nehme ich sehr ernst, ähnlich wie vor 22 Jahren den Kollaps des Kommunismus und den komplizierten Aufbau der freien und demokratischen Gesellschaft in unserem und Ihrem Land und im ganzen Mittel- und Osteuropa. Jetzt stehen wir vor ähnlichen Aufgaben. Das heutige Problem Europas wird nicht an den immer häufigeren EU-Gipfelkonferenzen gelöst, seine Tiefe und Dringlichkeit brauchen etwas Anderes. Wieder einmal braucht es eine fundamentale Wende, einen Wechsel des ganzen Paradigmas unseres Benehmens und unseres Denkens. Das steht vor aller Politik, aber die Politiker müssen die heutige Herausforderung so dringend fühlen und annehmen.

Das sind von mir keine neuen Ideen. Über Europa habe ich in der letzten Jahren viele Reden gehalten, viele Aufsätze geschrieben und sogar Bücher verfasst. Am Anfang des letzten Jahres wurde mein Buch (eine Sammlung meiner Reden und Aufsätzen) zu diesem Thema auch in Deutsch in Nürnberg veröffentlicht. Das Buch kann man hier – hoffe ich – erhalten. Im November 2011 wurde mein neues Buch mit dem Titel „Die Europäische Integration ohne Illusionen“ in der tschechischen Sprache in Prag herausgegeben. Die Korrektur seiner deutschen Ausgabe habe ich in den letzten Tagen beendet.

Zum ersten Mal fühle ich jetzt, dass Menschen endlich zu verstehen beginnen, dass wir vor einer fundamentalen Entscheidung stehen, vor einer Entscheidung, die bald getroffen werden muss: Sollen wir die Tiefe der heutigen europäischen Krise und ihren nichtzufälligen und nichtvergänglichen Charakter weiter ignorieren oder sollen wir die europäische Situation ernst nehmen?

Ich möchte korrekt verstanden werden. Wenn ich das Wort Krise benutze, meine ich nicht die akute Verschuldungskrise der Eurozone. Ich spreche über die lange Zeit existierende Krise des europäischen Wirtschafts- und Sozialsystems und des Models der europäischen Integration.

Mich beunruhigt, dass die Mehrheit der europäischen Politiker noch heute glaubt, dass die Entwicklung in Europa im Prinzip positiv ist, dass die Probleme, vor denen wir heute stehen, nicht fatal sind und dass die alten oder nur teilweise modifizierten Politiken fortgesetzt werden können, was für mich ganz unverständlich und besonders unverteidigbar ist.

Die reale Situation in Europa zwingt uns, es anders zu sehen – unter der Bedingung, dass wir mit dem jetzigen Zustand nicht zufrieden sind, dass wir die andauernde europäische Stagnation überwinden wollen, dass wir die europäische Verschuldungskrise beseitigen wollen und vor allem, dass wir zur Demokratie in Europa zurückkehren wollen. Die letzte „Bedingung“ ist für mich die Allerwichtigste. Dass alles diskutiere ich in meinem letzten Buch. Hier heute führe ich nur ein paar Bemerkungen dazu.

Das sichtbarste und kurzfristig dringendste Problem des heutigen Europa ist das Schicksal (oder die Zukunft) der Europäischen Währungsunion. Man sollte laut sagen, dass die ersten zehn Jahre der Existenz dieser Währungsunion nicht die positiven Effekte geliefert haben, die man – zu Recht oder zu Unrecht – erwartet hatte. Es wurde versprochen, dass die Währungsunion das Wirtschaftswachstum akzelerieren, die Inflation senken und vor allem ihre Mitgliedstaaten vor verschiedenen externen Störungen schützen wird.

Nichts davon ist eingetreten. Ganz umgekehrt. Nach der Entstehung der Eurozone hat sich das Wirtschaftswachstum in ihren Ländern im Vergleich zu den vorherigen Jahrzehnten verlangsamt. Auch die Handelsbilanzen und Staatshaushalte haben sich verschlechtert.

Es ist nicht eine volle Überraschung. Viele von uns haben lange Zeit gewusst, dass die Idee einer gemeinsamen Währung für ganz Europa falsch und gefährlich wird, und dass sie zu großen wirtschaftlichen Problemen und notwendigerweise auch zu der undemokratischen Zentralisierung des Kontinents führen muss. Gerade das passierte. Die Eurozone der heutigen 17 Staaten ist ohne Zweifel keine „optimale Währungszone“. Ihr Entstehen war eine rein politische Entscheidung.

Die Politiker sollten in Betracht nehmen, dass wenn die Währungszone keine optimale Währungszone ist, kann es nicht anders sein, als dass die Kosten für deren Schaffung und Erhaltung die Erträge übersteigen, die das Funktionieren dieser Währungszone mit sich bringt. Die Wörter „Schaffung“ und „Erhaltung“ sind wichtig. Die meisten Beobachter waren mit der Leichtigkeit des ersten Schrittes (Gründung der gemeinsamen Währungszone) zufrieden. Es wurde der Eindruck geweckt, dass mit diesem Projekt alles in Ordnung ist.

In der letzten Monaten und Jahren wurden die negativen Effekte der zu engen „Zwangsjacke“ der gemeinsamen Währung mehr und mehr evident. Beim „guten Wetter“ (im ökonomischen Sinne des Wortes) entstehen keine unlösbaren Probleme. In einer Krise (oder „beim schlechten Wetter“) manifestiert sich der Mangel der Homogenität in Europa sehr stark. Solche leicht verletzbare Währungszone aufrechtzuerhalten ist in dieser Situation sehr kompliziert und sehr teuer. Das sollten besonders die Deutschen gut wissen. Die Erfahrung mit der Wiedervereinigung Deutschlands und ihre Kosten sind – hoffentlich – noch nicht vergessen. (Darüber habe ich hier in Dresden schon einmal gesprochen – als ich Ehrendoktorat an der hiesigen Technischen Universität bekommen habe.)

Über die weitere Entwicklung möchte ich nicht spekulieren. Meiner Einschätzung nach wird der Euro direkt oder nominal nicht scheitern, weil in seine Existenz so viel politisches Kapital investiert wurde. Das Projekt wird fortgesetzt werden – aber um einen hohen Preis, der durch sehr niedriges Wirtschaftswachstum (oder sogar Stagnation) und hohe Finanztransfers manifestiert wird.

Meine Position zu allen diesen europäischen Problemen ist längst bekannt: die kosmetischen Änderungen und kleine Parameter-Korrekturen werden nicht helfen. Wie ich schon gesagt habe, wir brauchen einen fundamentalen Systemwandel, eine Umgestaltung des herrschenden Paradigmas, was mindestens zwei Sachen erfordert:

- die weitgehende Transformation des europäischen wirtschaftlichen und sozialen Systems;

- die Umstrukturierung der europäischen institutionellen Ordnung (anders gesagt, der Form der europäischen Integration).

Der heute vorgeschlagene (und vielesversprechende) Weg von der Währungsunion zu der Fiskalunion ist kein solcher Wandel, solche Umstrukturierung. Dieser Weg wird uns nur mehr Zentralismus und Bürokratie und deshalb weniger Demokratie und Freiheit bringen. Wir brauchen etwas anderes:

1. Wir müssen uns von dem heiligen Mantra der europäischen Politiker und Ideologen, von der unproduktiven und viel zu paternalistischen sozialen Marktwirtschaft, die durch die wachsende Rolle der grünen Ideologie noch weiter geschwächt wird, befreien.

2. Wir sollten akzeptieren, dass die ökonomischen Anpassungsprozesse eine bestimmte Zeit dauern, und dass die ungeduldigen Politiker und Regierungen mit ihrem Aktivismus die Situation nur verschlechtern. Wir müssen die Vorbedingungen für das Wirtschaftswachstum vorbereiten und nicht das Wachstum durch populistische Staatsinterventionen zu akzelerieren versuchen.

3. Wir sollten einen radikalen Plan zur Reduzierung der Ausgaben der Staatshaushalte vorbereiten und aufhören, mit den steuererhöhenden Ambitionen zu flirten. Dieser Plan muss sich vor allem mit den mandatorischen Ausgaben befassen, weil die diskretionären Ausgabenkürzungen langfristig quantitativ mehr oder weniger unbedeutend sind.

4. Wir sollten die schleichende aber ständig wachsende grüne Legislative aufhalten. Wir sollten es verhindern, dass die Grünen unsere Wirtschaft übernehmen, unter der Fahne so unsinniger Ideen, wie die Doktrin der globalen Erwärmung.

5. Wir sollten die Zentralisierung, Harmonisierung und Standardisierung des europäischen Kontinents aufhalten und nach einem halben Jahrhundert solcher Maßnahmen die radikale Dezentralisierung, Deregulierung und Desubventionierung unserer Wirtschaft und Gesellschaft durchführen.

6. Wir müssen die Demokratie wieder zurückgewinnen. Demokratie kann es aber nur auf der Ebene der Staaten geben, im Rahmen des ganzen Kontinents kann sie nicht existieren. Das heißt, wir müssen demütig von dem, leider nicht so kurzen Ausflug zum Supranationalismus wieder zum Intergovernmentalismus zurückkehren.

Das sind nicht die Pläne, die an den letzten EU-Gipfeln diskutiert wurden. Die soziale Marktwirtschaft und die permanente Vertiefung der europäischen Integration bleiben unantastbar. Man muss sich fragen, wie lange noch?

Václav Klaus, Denkfabrik Sachsen, Dresden, 19. März 2012

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