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Marktwirtschaft in Ost-Europa: Sieg oder Niederlage?

Deutsche Seiten, 1. 5. 1998

Ich danke für die Einladung zu Ihrem Forum, ich danke für das vorgeschlagene Thema meines Auftritts und für die Möglichkeit, diese Frage eindeutig beantworten zu versuchen.

Wenn wir auf die acht Jahre zurückblicken, die seit dem Kollaps des Kommunismus verliefen (und ich sage jedesmal, der Kommunismus wurde nicht geschlagen, er erlitt einen Kollaps, weil er innerlich so schwach und so wenig anziehend war, daß er nicht weiter funktionieren konnte), glaube ich, wir können selbstbewußt sagen, daß dieses unikate Manöver - also die Umwandlung des Kommunismus in eine freie Gesellschaft und in die Marktwirtschaft - gelang. Es bedeutet keinesfalls, daß schon gewonnen wurde. Diese Länder leben heute in einer sehr zerbrechlichen und verletzbaren Gesellschaft, aber das Rubikon wurde auf jeden Fall überschritten, und es gibt keinen Weg zurück.

Interessant ist, warum sich überhaupt heute jemand die Frage stellt, ob es um einen Sieg ging oder um eine Niederlage. Stellt man diese Frage deswegen, weil man das Gefühl hat, daß die Tschechische Republik während eines knappen Jahrzehntes noch nicht die Schweiz einholte? Oder ist immer noch einfacher und sicherer, in Westeuropa zu investieren, als in Osteuropa? Oder hat die Prager Börse schlechtere Qualität als Wall Street oder Londoner City? Sind vielleicht die Ostmärkte weniger ergiebig und deshalb weniger effektiv als die Märkte im Westen? Oder kann die Züricher Zentralbank die Währungspolitik besser durchführen, als die Prager Bank? Deutet die gleichzeitige politische Lage in manchen Ländern des Mittel- und Osteuropas, die Tschechische Republik nicht ausgenommen, eine bestimmte Enttäuschung an, durch den Verlauf und das Tempo der prezedenzlosen Metamorphose des gesellschaftlichen Systems?

Antworten auf diese Fragen wären relativ einfach, aber mir scheint, das ist nicht die wahre Ursache. Ich bin der Meinung, daß eine der Ursachen für diese Fragen falsche Erwartungen waren, und die zweite Ursache ein Irrtum in der Begreifung dessen, was eine totale Systemänderung, und nicht eine Reform oder eine Perestrojka ist.

Die Erwartungen waren und sind innerlich zweispaltig. Einerseits schien manchen von uns, daß die Beseitigung der kommunistischen Erbschaft ganze Jahrzehnte dauern wird, anderseits vergißt man schnell, und manche glauben, die Jahrzehnte wären jetzt schon vorbei. Man muß sagen, weder das eine, noch das andere entspricht der Wahrheit. Es wird keine Jahrzehnte dauern, und man darf nicht vergessen, daß dieser Prozeß erst vor acht Jahren begann, obwohl für manche von uns diese Jahre fast wie eine Ewigkeit scheinen. Die Expektationen sind also tatsächlich ein echtes Problem.

Etwas komplett anderes ist die falsche Interpretation der Entstehung und Entwicklung eines gesellschaftlichen Systems. Es zeigt sich, daß die Liquidierung der Institutionen des alten Systems sehr schnell ist. Ziemlich schnell sind auch die Liberalisierungs- und Deregulierungs-Prozesse, welche die Märkte öffnen, und welche auch den Menschen den Zutritt zu den verschiedensten ökonomischen (aber auch nichtökonomischen) Aktivitäten ermöglichen. Viel langsamer ist aber das Reifen der Märkte und der ökonomischen Subjekte, die da auftreten, viel langsamer bildet sich die instutionelle Infrastruktur der Marktwirtschaft und viel langsamer entsteht auch die notwendige Marktkultur und die elementaren Behavioralformeln, die damit verbunden sind.

All das wußten wir. Wir wußten, daß es den Widerspruch zwischen der Geschwindigkeit der Liberalisierungs- und Deregulierungsprozesse (ich nannte sie passive Transformationsmaßnahme) und der Langsamkeit der Schaffung der Institutionen und der Marktsubjekte (ich nannte diese aktive Transformationsmaßnahme) gibt. Wir wußten, daß gerade diese zeitliche Nicht-Übereinstimmung eine sehr verletzliche Wirtschaft schaffen wird, wir wußten auch, daß die ökonomische Entwicklung nicht ausschließlich linear steigend sein kann. Wir waren uns dessen bewußt, daß die Wirtschaft ihre Schwankungen und Kurven haben wird. (Als Politiker sagten wir das vielleicht nicht laut genug!)

Ich möchte jetzt ein paar Bemerkungen zum Problem der Schaffung oder Konstruierung der Marktwirtschaft selbst (und der freien Gesellschaft überhaupt) machen. Die Markwirtschaft ist - ähnlich wie die Rechtsordnung, Moral, die tschechische oder deutsche Sprache - ein kompliziertes System und das kann sich einzig spontan entwickeln, kann aber nicht konstruiert werden, bzw. sein konstruktionsfähiger Bestandteil ist nur ein kleiner Teil des ganzen Systems. Komplizierte Systeme werden laut Mises und Hayek durch „menschliche Tätigkeit“ gebildet, sie entstehen also nicht als „menschliches Projekt“. Gerade das ist meiner Meinung nach vollkommen entscheidend für das Begreifen der Gesetzmäßigkeit der Metamorphose des Kommunismus in die freie Gesellschaft und die Marktwirtschaft.

• Die Strukturierung der notwendigen Schritte der Systemtransformierung ist klar und relativ einfach:

• Liberalisierung ( der Preise, des Handels und der Investitionen);

• Deregulierung (der Märkte);

• Massenprivatisierung (des staatlichen Eigentums);

zusammen mit:

• genügend restriktiver makroökonomischer Politik (angesichts des geerbten ökonomischen Ungleichgewichts in der Richtung Inflation);

• dem Aufbau der Marktinfrastruktur sowohl auf der Institutionsebene als auch auf der Ebene der Rechtsordnung (der Legislative).

Das wurde - mit einer ganzen Reihe an Unterschieden in den Details - in der fast ganzen postkommunistischen Welt begriffen, und in einem teils größeren, teils kleineren Ausmaß in den einzelnen Ländern auch realisiert. Es ist nicht meine Absicht, einzelne Länder zu bewerten und eine imaginäre Erfolgsleiter zu bilden, aber z.B. die Credit-ratings-Bewertung in der Zeitschrift Institutional Investor im März scheint mir ganz glaubwürdig zu sein.

Der Prozeß der Transformierung hat bestimmte Gesetzmäßigkeiten und seine Etappierung, die wir erst kennenlernen. Ihre schematische Beschreibung könnte ungefähr folgend aussehen:

1. Nach der Einführung der ersten Transformierungsschritte des Liberalisierungs- und Deregulierungscharakters (was ein bewußter und gewollter Eingriff ist) und nach der Verlust der geschutzten Märkte der ehemaligen kommunistischen Welt (und das ist die nichtgewollte Folge des Sturzes des Kommunismus, schmerzlich vor allem für die export-orientierte Länder, wie es die Tschechische Republik war) kam es zu einem relativ tiefen Rückgang der ökonomischen Aktivität, der eine unentbehrliche Liquidierung der ökonomischen Aktivitäten bedeutet, wonach praktisch „über Nacht“ die Nachfrage verschwand. Der künstliche Versuch, diesen Prozess hinauszuschieben, führt nirgendwohin, sogar die umgekehrte These ist gültig - je schneller und kürzer, desto besser.

In unserem Land stellte dieser Prozess den Verlust von einem Drittel der industriellen Produktion dar, von einem Viertel der landwirtschaftlichen Produktion, von einem Fünftel des Brutto-Sozialprodukts und er dauerte zwei bis drei Jahre (es gibt aber Länder, wo er bis heute andauert). Parellel entstanden die neuen ökonomischen Aktivitäten, aber der reine Effekt war deutlich negativ.

2. Die Liberalisierungs- und Deregulierungsschritte beginnen relativ schnell zu wirken. Die Wirtschaft fängt an zu wachsen, es erhöhen sich die Reallöhne, steil wachsen die Investitionen, der am Anfang devalvierte Währungskurs macht den Export leichter, enorm schnell wächst die Tertial-Sphäre. Der relative Erfolg zieht das Auslandskapital an, welches das Gleichgewicht der Ersparnisse und der Investitionen sichert (die Heimersparnisse genügen natürlich nicht).

Es kommt zu einem bestimmten Paradox. Je erfolgreicher dies alles ist, desto mehr Kapital kommt aus dem Ausland, desto schneller wachsen die Heiminvestitionen, desto schneller ist das ökonomische Wachstum, desto schneller wächst der Import (und überholt deutlich den Export), desto schneller wachsen auch die Heimkredite (was den einheimischen Banksektor und auch die Betriebe in der „realen“ Wirtschaft sehr verletzlich macht). In der Wirtschaft wächst die Spannung an. Die Wirtschaftspolitik der Regierung kann die Situation nicht genügend lösen, weil wir in einer realen Welt leben und nicht in einem Labor. Es droht der Anstoß an einen Engpass (der in verschiedenen Ländern unterschiedlich sein kann, angesichts des unterschiedlichen Ausmaßes der Öffnung der Wirtschaft).

3. In einer kleinen geöffneten Wirtschaft (das ganz typische Beispiel war eben die Tschechische Republik, zwei Jahre vorher auf eine sehr ähnliche Weise Ungarn) konzentriert sich das Problem in die Handelsbilanz. Sobald sich „die Märkte“ entscheiden, daß das äußere Ungleichgewicht unerträglich ist, wachsen in dem Moment schnell die Destabilisierungs-prozesse heran. Der Kapitalzustrom bleibt stehen, es kommt zum Abfluß des kurzfristigen Kapitals. Der Anschlag auf die Währung kommt. Die Zentralbank beginnt, die Wirtschaft zu bremsen (in unserem Fall handelte es sich um ein deutliches „overkill“), das ökonomische Wachstum wird langsamer, die Investitionen stagnieren, das Staatsbudget gerät ins Ungleichgewicht, die Ausgabenstriche bremsen weiter die Nachfrage, die Währung devalviert, die politische und soziale Lage ist destabilisiert. Es entsteht ein Krisengefühl, obwohl zum Beispiel in unserem Fall das Brutto-Sozialprodukt, die Industrieproduktion und auch die Reallöhne nicht sinken (was sehr unterschiedlich im Vergleich mit anderen ähnlichen Fällen ist).

4. Als Folge bei all diesem kommt es zu der „erzwungenen“ Anpassung der wirtschaftlichen Grundparameter, und somit öffnet sich der Weg zu einer weiteren Runde dieser (oder ähnlichen) Geschichte. Man kann daran lernen, aber ausschließen kann man sie nicht ganz, und zwar aus zwei wichtigen Gründen:

• die komplizierte und nicht immer angenehme Anpassung der wirtschaftlichen Grundparameter läßt sich - in der realen Welt der geöffneten, hoch pluralistischen Gesellschaft, die dazu noch mit dem Gefühl des notwendigen „Nachholens“ der westlichen Welt (in dem Lebensniveau, in der Infrastruktur, in der Umwelt) lebt - nicht ex-ante, freiwillig machen; es ist eventuell nur im hypothetischen Fall mit Hilfe eines ausserordentlich starken politischen Mandats möglich, den die Politiker in dem revolutionären Moment nach dem Fall des Kommunismus hatten, der Ihnen aber in der „normalen“ Situation sieben bis acht Jahre danach nicht mehr zur Verfügung steht;

• die notwendige Öffnung der Wirtschaft bedeutet in der heutigen höchst globalisierten Welt, in der kleinen Wirtschaft, welche unreife Märkte und schwaches Bank- und Finanzsystem charakterisieren, eine riesige Verletzbarkeit. Joseph Stiglizt verglich es unlängst (Financial Times, den 25. März 1998) mit Problem eines kleinen Bootes (das nur Ruder hat, aber keinen Motor), das sich auf den Weg über den Ozean machte. Die Wellen sind manchmal so groß, daß man ihnen auch mit einem genialen Ruder nicht voll ausweichen kann. Und da müssen wir ganz klar sagen, daß solch eine Wirtschaft keine genialen Politiker und keine ideal funktionierende Marktwirtschaft hat, sie hat also auch keine außerordentlichen Schifführer und kein gutes Boot.

5. Ich bin überzeugt, daß die „normale“ Entwicklung in unserem Weltteil weiter fortsetzen wird. Es wird keine lineare Entwicklung sein, die steil nach oben zielt. So ist es in der menschlichen Gesellschaft selten. Die Entwicklung wird kurvenreich sein, wesentlich ist aber, daß ihre Tendenz als eine Gerade dargestellt wird, und daß ihre Direktive das Plus-Zeichen haben wird. Aus dem Geschichtestudium - sowohl der Geschichte der Wirtschaften, als auch der Geschichte der ökonomischen Theorien - wissen wir wohl, daß ein angemessenes Modell der Stadien des ökonomischen Wachstums weiter gesucht wird. Wenn ich den bekannten Rostows Termin „take-off“ verwende, dann glaube ich, daß take-off in den meisten Ländern des Mittel- und Osteuropas tatsächlich kommt. Augrunde dessen, was ich hier heute sagte, möchte ich zum Abschluß wiederholen, daß der bisherige Verlauf der Methamorphose des Kommunismus in eine normale Gesellschaft des westlichen Typus mehr ein Sieg, als eine Niederlage ist, und ich glaube, auch in der Zukunft wird es so bleiben.

Václav Klaus, Rheintaler Wirtschaft Forum 98, Windau, 1. Mai 1998

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