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Mitteleuropa und die Fragen der Migration

Deutsche Seiten, 15. 9. 2023

Vielen Dank für die Einladung zu Ihrem heutigen Forum Mitteleuropa. Gleich am Anfang muss ich gestehen, dass ich mich als Mitteleuropäer wirklich fühle. In erster Linie bin ich zwar ein Prager und ein Tscheche, trotzdem fühle ich die mitteleuropäische Identität sehr stark. Im Gegenteil, die europäische oder paneuropäische Identität ist für mich viel schwächer, was die Europäisten unter uns nicht gerne hören.  

Das Thema Ihres Treffens, die Migration, ist kein Randphänomen der heutigen Welt. Sie betrifft die Basis und die Substanz unserer Gesellschaft. Die Menschen haben schon immer migriert, man muss aber klar und deutlich zwischen individueller und Massenmigration unterscheiden. Das ist meine Ausgangsthese. Die Massenmigration ist heute absichtlich, zielbewusst, organisiert und ermöglicht.  Deshalb befinden wir uns in einer qualitativ neuen Ära der Menschheit, die ich die Migrationsära nenne.

Die Dringlichkeit dieses Phänomens wurde leider im Schatten der Covid-Epidemie, des Green Deals, der Energiekrise, und des Krieges in der Ukraine in den letzten Jahren verborgen gehalten. Doch hat sich die Migration in dieser Zeit erheblich fortentwickelt, nur die Menschen hatten andere Sorgen und Prioritäten. Heute ist diese fundamentale  Bedrohung unserer Gesellschaft wieder sichtbar, wie z.B. die Situation in Frankreich oder Süditalien in den letzten Wochen gezeigt hat.

Jetzt haben wir nicht nur diese alte Migration. Wir haben auch eine neue Migration, die mit dem ukrainischen Krieg zusammenhängt. Die Österreicher fühlen diese Migration bestimmt auch, die Situation im Osten Europas ist jedoch viel dramatischer. Meine Heimat, die Tschechische Republik, liegt an erster Stelle in der Welt was die Anzahl der ukrainischen Migranten pro Kopf (per capita) betrifft. Die Ukrainer machen bei uns heute schon 5 % der Gesamtbevölkerung aus.

Gerade jetzt machen viele von ihnen Urlaub nicht nur bei uns im Land, sie verbringen – zu unserer Überraschung – ihre Ferien in der Ukraine. Dort, wo die Kämpfe fortsetzen. Der Autobusverkehr zwischen der Tschechischen Republik und Ukraine war jetzt im Sommer sehr stark.  

Die Migration als ein Phänomen ist für uns ganz neu. In der kommunistischen Ära und auch in den ersten postkommunistischen Jahrzenten hatten wir keine direkte Erfahrung mit der Massenmigration. Heute ist es anders. Jeder zehnte Einwohner der Tschechischen Republik ist heutzutage ein Ausländer, was nicht viel anders als in Österreich ist. In Österreich war das aber eine langfristige Entwicklung.

Diese schnell wachsende Zahl von Migranten verändert die Atmosphäre in unserem Land, in unseren Städten und Dörfern und besonders in unseren Schulen. Ich benutze absichtlich das Wort Migranten. Auch aus der Ukraine – wie aus allen anderen Ländern und Kontinenten  – kommen nicht die höchst betroffenen Menschen, deren Leben wirklich bedroht ist, sondern Menschen, die flexibler, anpassungsfähiger, emotionell und oft auch finanziell besser auf die Migration vorbereitet sind. Deshalb sage ich Migranten, nicht Flüchtlinge.       

Sie werden von der tschechischen Regierung herzlichst willkommen geheißen. Auch unsere derzeitige Regierung folgt dem berühmten Motto von Angela Merkel: „Wir schaffen das“ und der damit verbundenen Ideologie. Es hat verschiedene Gründe, bestimmt auch unser schlechtes Gewissen aus dem Jahr 1968, als wir – in einer ähnlichen, aber nicht identischen Situation – nicht gekämpft haben.

Die Sicherheit, dass wir das wirklich schaffen werden, ist immer schwächer, besonders mit unserem aktuellen Haushaltsdefizit und der hohen Inflation. Wie ich sagte, in der Vergangenheit waren wir  nicht das Hauptziel der Migranten. Sie haben Deutschland, Österreich, Frankreich und andere westeuropäische Länder bevorzugt. Deshalb ist die Massenmigration für uns etwas ganz Neues. Trotzdem ist es klar,  dass auch die heutige ukrainische Migration auf den bekannten Prinzipien beruht und dass sie ähnliche Folgen und Konsequenzen hat und haben wird.

Die Massenmigration der heutigen Ära ist nicht vom Himmel gefallen. Sie wurde ideologisch – mit Hilfe der Ideologie des Multikulturalismus – vorbereitet und danach von Aktivisten pragmatisch organisiert. Seit längerer Zeit sind wir Zeugen der durchgehenden Umgestaltung der europäischen Gesellschaft und der allmählichen Zerstörung der europäischen Kultur, Traditionen und Werte. Die Massenmigration wird dabei als das Hauptinstrument benutzt. Der weltberühmte österreichische Schriftsteller Stephan Zweig hat vor 80 Jahren das Buch Die Welt von Gestern geschrieben. Wir brauchen einen neuen Stephan Zweig. Die heutige Realität sollte auch so klar und kompromisslos beschrieben werden.

Zu diesem Thema habe ich in den letzten Jahren in der ganzen Welt, auch hier in Wien, viele Reden gehalten und Aufsätze publiziert. Zusammen mit meinem Kollegen Jiří Weigl haben wir schon im Jahre 2015 ein kleines Buch mit dem Titel „Völkerwanderung[1] zusammengestellt und auf Deutsch auch in Deutschland im Jahre 2016 veröffentlicht. Das Buch wurde inzwischen in acht europäische Sprachen übersetzt und herausgegeben. Für diejenigen, die interessiert sind, habe ich ein kleines Paket mit diesen Büchern mitgebracht.

Die Hauptthese dieses Buches ist auch für die heutige Situation relevant: die Massenmigration und ihre weitgehenden negativen Konsequenzen für die Zukunft der europäischen Gesellschaft wurden nicht von Migranten, sondern von europäischen Politikern verursacht. Gerade das sollte man laut sagen. Ich weiß, dass diese Aussage politisch sehr unkorrekt ist. In Ihrem Land ist sie noch unkorrekter als in meinem.

Die Mehrheit der europäischen Spitzenpolitiker, die an die durchaus wohltuenden  Effekte der unbegrenzten menschlichen Vielfalt auf das Zusammenleben der Volksgemeinschaft und an die vollkommen positiven und bereichernden Auswirkungen der Migranten, ihrer Ideen, ihrer Religion und ihrer Gewohnheiten glaubt, ladet die Migranten seit vielen Jahrzehnten ein. Nur deshalb sind die Migranten da. Die Nachfrage ist – wie immer – wichtiger als das Angebot, welches ohne Zweifel auch existiert. 

Ich gehe noch tiefer, weil ich Angst habe, dass die europäischen Politiker aus den heutigen Migranten einen neuen europäischen Menschen machen wollen, einen homo bruxelarum. Dieser neue europäische Mensch wird keine Nation, kein Vaterland, haben (und brauchen). Darin sehe ich die wirkliche Motivation und Ambition dieser Politiker.

Ich habe die heutige Massenmigration, die ich – glaube ich zu Recht – als Völkerwanderung bezeichne, seit langem als Bedrohung der europäischen Zivilisation und Kultur, als Bedrohung der Freiheit und Demokratie, und nicht zuletzt als Bedrohung der europäischen Prosperität gesehen. Sie stellt gefährliche Beschädigung unseres Lebens, unserer Lebensqualität, unserer Traditionen und Gewohnheiten dar. Sie hat auch Ihre Stadt, Wien, in manchen Teilen sichtbar verändert.

Gibt es eine Chance, es zu unterbrechen? Ich bin mir nicht sicher. Diejenigen, die die Massenmigration fördern und ermöglichen, sind in der Offensive, während die stille Mehrheit der normalen Menschen in der Defensive bleibt. Das genügt nicht. Wir müssen ein klares NEIN zur Massenmigration sagen und dies immer und immer wieder wiederholen. Die Idee des von oben organisierten Multikulturalismus ist  völlig falsch.

Mitteleuropa spielt in dieser Hinsicht die wichtigste Rolle. Es ist – aus meiner Sicht – das heutige Schlachtfeld Europas. Hier wird das heutige europäische Dilemma, der heutige Konflikt über die Zukunft Europas, gelöst – oder auch nicht.

Können wir von Mitteleuropa, von uns selbst, etwas Positives erwarten? Ich bin mir nicht sicher. Eine Veränderung der Atmosphäre hier sehe ich kurz- und mittelfristig als unmöglich. Und langfristig (in the long run), wie John Maynard Keynes sagte, sind wir alle tot (we are all dead).

Ich kenne das deutsche Sprichwort „Optimismus ist Pflicht“. Ich habe es vor 30 Jahren, ganz zufällig hier, in diesem Saal, zum ersten Mal gehört. Trotzdem erlaube ich mir, pessimistisch zu bleiben.

Mein Pessimismus, ich präferiere aber das Wort Realismus,  ist mit der Absenz der Demokratie in der EU verbunden. Es hat mit der heutigen Version des ganzen Konstruktes der europäischen Integration viel zu tun. Wir befinden uns in einer Postdemokratie, die die Progressivisten als liberale Demokratie falsch bezeichnen.

Meine politische Karriere habe ich vor fast 34 Jahren mit dem Slogan „Marktwirtschaft ohne Adjektive“ gestartet. Denselben Slogan sollten wir auch jetzt benutzen – wir brauchen Demokratie, auch ohne Adjektive. Ist es realisierbar? Für die Demokratie braucht man Nationalstaat, nation-state, nicht die Europäische Union. Eine eventuelle Neugestaltung des Denkens würde eine Transformation der Europäischen Union erfordern, eine Rückkehr zu den Wurzeln der europäischen Integration (als die Gemeinschaft der Staaten) und besonders die Beseitigung der Änderungen, die in den Verträgen von Maastricht und Lissabon durchgeführt wurden.

Ich bin kein naiver Revolutionär, der eine radikale Wende vorschlägt oder erwartet. Ich sage etwas anderes. Ich sage, dass wir ohne solche Veränderungen keine Beendigung der Massenmigration erreichen können. Die Ära von gestern geht leider sehr schnell zu Ende.

 
Václav Klaus, Der Liberale Klub, Haus der Industrie, Wien, 15. September 2023. Die frühere Version dieser Rede wurde im Garmisch Partenkirchen am 14. Juli 2023 präsentiert. 
 

[1] Klaus, V., Weigl, J., Völkerwanderung, Manuscriptum Verlagsbuchhandlung, Berlin, 2016.

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