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Wachau Rede: Europa geeint oder gespalten?

Deutsche Seiten, 12. 6. 2016

Vielen Dank für die Einladung. In dieser wunderschönen und mit Wein verbundenen Gegend und in diesem mächtigen Stift war ich schon einmal. Jetzt weiß ich aber nicht: schon einmal oder nur einmal? Da Wachau nicht mehr als 70 Kilometer von der tschechischen Grenze entfernt ist, muss ich gestehen, ich war hier wirklich nur einmal.

Es war vor 16 Jahren, im Jahre 2000. Es war – mindestens es schien so – in einem spezifischen Moment der österreichischen Politik. Ich erinnere mich gut daran, dass die wichtigen EU-Politiker das Wachau Forum in diesem Jahr ignorierten. Es war sicherlich unnötig. Die nachfolgende Entwicklung Österreichs hat ihre damalige – ohne Zweifel unberechtigte – Befürchtungen und Sorgen nicht bestätigt.

Es ist längst vorbei. Diesmal gibt es eine spezifische Situation (und das Wort „spezifisch“ nehme ich in diesem Fall als ein Understatement) im ganzen Europa.

Der Titel Ihrer diesjährigen Konferenz „Europa – in Wohlstand geeint, in Krisen gespalten“ ist interessant. Niemand hat hier heute darüber gesprochen. Ich finde es inspirierend, dazu etwas sagen zu dürfen. Vielen Dank für diese Gelegenheit. Die Frage im Titel, und es ist eine Frage, nicht eine Behauptung, ist scharf formuliert, deshalb müssen die Antworten auch scharf sein. Ich möchte gleich am Anfang für meine Schärfe um Entschuldigung bitten. Hoffentlich werden Sie mir wegen meiner Ansichten den Niederösterreichischen Preis, den ich im Jahre 2005 in St. Pölten für meine „Verdienste um die Bewahrung von Vielfalt auf dem Weg der Europäischen Integration“ bekommen habe, nicht abnehmen.

Ich möchte auch mit einer Frage anfangen. Sind die Zeitwörter „einen“ und „spalten“, wenn wir über Europa sprechen, geeignet? Helfen sie uns? Gibt es ein solches Dilemma? Ist es wirklich entweder–oder? War Europa irgendwann in der Geschichte, besonders bis vor kurzem, geeint und gerade jetzt ist es gespalten?

So sehe ich es nicht. Europa war nie geeint – nicht immer war aber die Zerbrechlichkeit des herrschenden europäischen Konstrukts so sichtbar und deutlich wie heute.

Mit diesen Themen befasse ich mich seit langer Zeit mit Hilfe einer ähnlichen, dennoch konzeptuell verschiedenen Terminologie. Im Moment der finanziellen und wirtschaftlichen Krise am Ende des vergangenen Jahrzehnts habe ich oftmals gesagt, dass die Europäische Union nur für gutes Wetter vorbereitet ist. Damit meinte ich die Parameter des europäische Wirtschafts- und Sozialsystems auf der einen Seite und die Parameter der institutionellen Gestaltung der europäischen Integration auf der anderen. Beim schlechten Wetter, und die damalige Krise war ein schlechtes Wetter, zeigten sich die institutionellen und systemischen Fehler und Defekte ganz klar. Es scheint aber, dass das Wetter damals nicht schlecht genug gewesen ist.

Ein verantwortlicher Bauer baut sein Gut nicht nur für das gute Wetter. Wir – und besonders unsere Repräsentanten, die europäischen Spitzenpolitiker und Bürokraten – verhalten sich nicht verantwortlich. Der europäische Bau wurde von Anfang an nicht sorgfältig und voraussehend gebaut. Seine Architekten haben die notwendigen Voraussetzungen für seine langfristige Existenz in – wenigstens drei – wichtigen Punkten nicht erfüllt:

1. Sie haben die Schwäche des europäischen Wirtschaftssystems unterschätzt. Die heutige ineffiziente europäische soziale und ökologisch orientierte Marktwirtschlaft – mehr sozial und ökologisch als Markt und Wirtschaft – kann nur bei einem guten Wetter, bei der weltweiten Hochkonjunktur, gut funktionieren und das positive Wirtschaftswachstum im Europa ermöglichen. Sonst nicht.

2. Sie haben Währungszone in einem zu heterogenen Raum gebaut. Die Eurozone, die – wie wir alle wissen – eine nichtoptimale (volkswirtschaftlich definiert) Währungszone ist, braucht auch ein gutes Wetter. Bei schlechtem Wetter kann sie nur mit der Hilfe von umfangreichen zwischenstaatlichen Finanztransfers überleben. Diese massiven – unproduktiven und sozial dubiosen – Finanztransfers bei den Menschen zu rechtfertigen, erfordert die Existenz einer authentischen und spontanen Solidarität der europäischen Länder und ihrer Bürger – etwas ähnliches was wir z.B. zwischen Westdeutschland und Ostdeutschland, das heißt innerhalb einer Nation, schon mehr als 25 Jahre beobachten. Eine authentische Solidarität gibt es in Europa nicht. Die Kameradschaft der – fast jede Woche in Brüssel sich zusammentreffenden – europäischen Eliten ist etwas anderes.

3. Sie haben auch Schengen unterschätzt. Das Schengener System, die Eliminierung der inneren EU-Grenzen, wurde auch nur für gutes Wetter gebaut. Es erfordert Frieden nicht nur bei uns, sondern auch in unserer Umgebung. Es ermöglicht oder es sollte die innere Migration ermöglichen (wie wir alle wissen, manchmal mit Schwierigkeiten), aber nicht die äußere Migration. Besonders nicht die äußere Massenmigration. Das Schengener System ist nicht kompatibel auch mit dem internationalen Terrorismus und Menschenschmuggel. Das wissen wir alle.

Man kann weitere schwache Punkte der EU-Anordnung nennen, sie würden aber nichts Neues bringen. Man sollte zu dem Hauptthema der heutigen Konferenz zurückkehren und klare Fragen stellen. Waren wir im Europa jemals in der Geschichte wirklich geeint? Waren wir in der Ära nach dem Fall des Kommunismus geeint? Sind wir erst jetzt gespalten? Wie ist es geschehen?

Und etwas – in meinen Augen – noch Wichtigeres. Können wir in Europa authentisch, d. h. nicht nur formal geeint werden? Ist die europäische Identität genügend stark? Wird uns eine formale, noch tiefere Unifizierung als in der heutigen EU helfen? Ist es für die Menschen akzeptabel? Ist es überhaupt möglich, auf der gesamt kontinentalen Ebene geeint zu werden? Sind wir fähig, solche Einigung demokratisch zu organisieren? Oder führt solche Einigung notwendig zur De-Demokratisierung Europas? Ich weiß, dass diese Fragen im heutigen Europa nicht salonfähig sind, trotzdem müssen sie gestellt werden.

Meine Antwort auf diese Fragen ist einfach und resolut: Europa braucht keine formale und nur institutionelle Einigung und braucht keine erhöhte Stufe der Zentralisierung der Entscheidungsprozesse. Uns genügt eine niedrigere Stufe der Integration als die Einigung. Wir brauchen Respekt, Freundschaft und Zusammenarbeit der Länder Europas. Dazu sind keine europäische Regierung und keine permanente EU-Nomenklatura nötig. Oder nur sehr kleine. Wir sind imstande, unser Leben – und auch unser Zusammenleben – selbst zu organisieren!

Alle notwendigen Argumente zu diesen Themen sind in Europa schon seit langer Zeit bekannt. Bestimmt kann ich hier heute vormittags in dieser kurzen Rede nichts Neues sagen. Wir alle kennen die wichtigsten Argumente. Trotzdem ist es bis heute zu keiner Korrektur des Models der europäischen Integration, zu keiner Kurskorrektur, gekommen. Ich verstehe es als einen Beweis dafür, dass die Argumente und Ideen für die Entscheidungen der Menschen nicht genügen. Die Tiefe der – für uns hoffentlich schon lange Zeit sichtbaren und verständlichen – Defekte der europäischen Realität selbst muss die Menschen in Europa überzeugen, dass wir uns in einer Sackgasse befinden und dass wir in dieser Sackgasse nicht lange Zeit verweilen können. Die evidenten Defekte sind da. Einige von uns dachten, dass die Finanz-, Wirtschafts- und  Verschuldungskrise vor fast einem Jahrzehnt die Augen der Menschen in Europa öffnen und zur Wende führen würde. Leider ist es nicht angetreten. Die Alarmsignale waren bisher wahrscheinlich nicht laut genug.

Jetzt bietet uns die Migrationskrise eine weitere Gelegenheit zur Wende und zu einem Paradigma Wechsel, zu dem Wechsel unseres Denkens und unseres Benehmens. Hoffentlich werden wir nicht auf ein permanent schönes Wetter setzen. Der Schlüssel zur Lösung unserer Probleme liegt bei uns selbst. Etwas Grundsätzliches müssen wir tun, bevor es zu spät ist.

Ich sagte hier schon im Jahr 2000, dass „wir in einer besonderen Zeit der europäischen Geschichte leben“, dass wir uns in einer Ära „des Versuchs das Äußere in das Innere der europäischen Länder hineinzutragen“ befinden, dass alle Prozesse, die wir heute erleben, nicht neu sind, aber „neu ist ihr synergetischer Effekt“. Ich sagte auch, dass „der Kollaps des Kommunismus zu einem allgemeinen Verlust der Aufmerksamkeit und Wachsamkeit geführt hat“. Das ist aber für eine andere Rede.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

Václav Klaus, Wachau Forum, Stift Göttweig, Niederösterreich, 12. Juni 2016.

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