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Die osteuropäischen Staaten und der europäische Integrationsprozeß

Deutsche Seiten, 9. 5. 2001

          Für mein heutiges Auftreten wähle ich zwei Themen: die Problematik der ersten Dekade der postkommunistischen Ära im Osten Europas und die Problematik der heutigen Phase der europäischen Integrationsprozessen.

1.Mittel- und Osteuropa am Anfang des 21. Jahrhunderts

         Die Situation und die Atmosphäre in Mittel- und Osteuropa und ihre Einschätzung wird heute mehr durch die Entwicklung der letzten Zeit, das heißt der zweiten Hälfte der vorherigen Dekade als durch die Erinnerungen an Kommunismus beeinflußt. Das müssen wir wieder und wieder im Ausland erklären.

         Die Transformation hat in diesen Ländern mit großen Hoffnungen begonnen. Heute herrscht dort eine gewiße Enttäuschung. Nach dem Kollaps des Kommunismus (und ich spreche immer und bewußt von einem Kollaps, denn der Kommunismus wurde nicht niedergeschlagen) und nach Beendigung (oder wenigstens einer deutlichen Abschwächung) des Ost-West-Konflikts waren fast alle der Meinung, daß für uns, für Europa, wie auch für die gesamte Welt, eine ausserordentlich günstige Periode beginnt. Es schien, daß das Ende des Kommunismus sofortige, greifbare, meßbare und in jedem Falle ausschließlich positive Effekte bringen wurde.

         Es wurde vergeßen, daß jede tiefgreifende Veränderung des gesellschaftlichen Systems (und zwar jedes Systems), die Veränderung der Regeln seines Funktionierens, die Verändereung der bestehenden Institutionen,  und die Veränderung äußerer Bedingungen, unter denen es funktioniert, zuerst eine große Erschütterung (einen Schock) bedeutet. Dieser Schock ist notwendigerweise sehr kostspielig. Er führt dazu, daß die Kosten dieses unikaten historischen Manövers in der ersten Phase deutlich dessen Nutzen oder Erträge übersteigen. Dank dieser Tatsache (und Dank der enormen und schnell anwachsenden Erwartungen) hat sich im Verlaufe des letzten Jahrzehnts in allen Reformländern die Lücke zwischen Erwartungen und Realität nicht verringert, sondern vergrößerte sich. Das sage ich mit der tiefen Überzeugung, daß die Verbesserung des Lebensstandards der Menschen in den postkommunistischen Ländern in den neunziger Jahren evident ist und außer Frage steht. Nichtsdestoweniger dominieren Gefühle (unlängst meinte jemand nett: „perception is always rights“) – und diese spiegeln diese Lücke stärker wider, als die Realität selbst.

         Das ist aber leider noch nicht alles. Es war angenommen worden, daß nach dieser ersten Phase ein geradliniger, linearer Prozess beginnt, der politisch nur durch den Widerstand der kommunistischen Parteien und anderer Anhänger des ehemaligen Regimes gebremst werden könnte. Es zeigt sich aber, daß auch diese Annahme ein Irrtum war. Zur Bremse der Geradlinigkeit der weiteren Entwicklung wurden ganz legitime, aber trotzdem zum Liberalismus alternative Ideologien, die die Möglichkeit erhielten, in die plötzlich geöffnete, volldemokratische, extrem antiautoritative Gesellschaft (als übertriebene Reaktion auf die Vergangenheit), ihre, manchmal sehr extremen und ohne Zweifel partiellen Haltungen einzubringen und damit die Situation zu komplizieren.

         Wenn ich das sage, zweifle ich nicht an der Legitimität dieser Haltungen. Ich mache nur darauf aufmerksam, daß diese Haltungen, die in der normalen westeuropäischen Gesellschaft nur die „Würze“ ihres hochstabilisierten Systems darstellen und nur die Einzelheiten „at the margin“ hinzufügen oder abnehmen, bei uns die Substanz des Streites um den Charakter des Landes und seines Gesellschaftssystems bedeuteten.

         Es gibt aber Probleme. Von außen wird die Schuld diesen Ländern, ihrer Unreife und ihren Fehlern zugeschoben. Daß sie unreif sind und Fehler machen, ist sicher wahr. Mögen wir aber über diese Länder denken, was wir wollen, ihre Unreife und Unvollkommenheit hat sich mit der Zeit, das heißt im Laufe des letzten Jahrzehnts, bestimmt verringert. Nicht umgekehrt.

Ihr heutiger Zustand stellt eine notwendige Entwicklungsetappe dar, die nicht übersprungen werden kann. In einer idealen Welt oder im Laboratorium eines Sozialingenieurs könnte alles völlig anders aussehen, doch in der komplizierten Realität einer offenen, pluralistischen und außerordentich demokratischen Gesellschaft kann das leider nicht anders ausschauen. Die zerbrechlichen und verwundbaren, aber trotzdem schnell geöffneten Märkte  trafen in den letzten Jahren auf eine neue Phase der weltweiten Globalisierung, und besonders auf liberalisierte Kapitalmärkte sowie auf schnelle Bewegungen des Kapitals, und das ist nicht einfach zu beherrschen.

         Das alles hat aber auch seine europäische Dimension.

2.      Europa von Heute und Morgen

Für mich (und für uns alle in Mittel- und Osteuropa) hat die Debatte über die Zukunft Europas zwei Aspekte – die Evolution des Modells des europäischen Integrationsprozesses, und das Verhandeln der heutigen EU Ländern mit den Kandidaten.

Als Bürger eines Nichtmitgliedstaates der EU muß ich akzeptieren, daß die Mitgliedschaft oder Nichtmitgliedschaft – leider – zu einem Differenzierungsfaktor geworden ist, der zeigt, welches Land ein “normales, standardmäßiges (oder standardisiertes), erwachsenes, gehorsames“ europäisches Land ist und welches Land nicht. Trotz der Tatsache, daß solche Aufteilung unfair ist, und für mich persönlich sehr schwer zu verschlucken, wurde sie heute in Europa weit und breit akzeptiert. Aus diesem Grunde bleibt uns keine andere Wahl, als uns mit maximaler Intensität um eine möglichst schnellste Mitgliedschaft zu bemühen – und zwar ungeachtet unserer Ansichten über das gegenwärtig realisierte Modell der europäischen Unifizierung und der dahinter verborgenen Ideologie.

Wenn wir über die Erweiterung der EU reden, befinden wir uns in einer Welt asymmetrischer Motivationen. Wie ich bereits gesagt habe, Nichtmitgliedstaaten sind motiviert, der EU so bald als möglich beizutreten. Ich bin jedoch überzeugt, daß die Mitgliedstaaten – im Gegenteil – am möglichst langem Aufrechterhalten des Status quo interessiert sind. Lassen wir die Rhetorik beiseite, die Nichtmitgliedstaaten sind für sie bereits jetzt voll zugänglich und es ist ihnen die volle Möglichkeit gegeben, ihre komparative Vorteile auf eine einseitige, für sie schmerzlose Weise zu realisieren.

Wenn wir über die Substanz des Integrationsprozesses reden, ist meine wirkliche Ambition, die Freiheit und Demokratie der Bevölkerung Europas zu erweitern, zu vervollkommnen und zu garantieren. Nichts anderes. Diesbezüglich ergibt sich für mich die folgende Frage: Wird die Freiheit und Demokratie in Europa zunehmen durch

-          die Minimalisierung der Rolle einer, unbestreitbar echter und natürlicher Organisationsebene der menschlichen Gesellschaft, die “Nationalstaat” genannt wird;

-          die Vergrößerung der Entfernung zwischen dem einzelnen Bürger und den relevanten entscheidungstragenden Institutionen (gemeint ist sowohl die legislative, als auch die exekutive Macht);

-          die Harmonisierung der Regel und der Politik anstelle der Gewährleistung einer Konkurrenz von unterschiedlichen Regeln und politischen Konzepten?

Diese Fragen ernsthaft und ohne Vorbehalte zu besprechen ist der einzige Weg, die positive Zukunft Europas zu garantieren. Wir alle wissen, daß dieses Problem heikel und delikat ist und daß es nicht einfach ist, eine Antwort auf die oben gestellten Fragen zu geben. Es ist jedoch unumgänglich.

Ich bin zutiefst frustriert darüber, daß diese Probleme in Europa nicht ernsthaft diskutiert werden. Die schweigende, nicht engagierte Mehrheit der Europäer schenkt diesen Problemen fast keine Beachtung und sieht ihre Wichtigkeit gar nicht. Proeuropäische Aktivisten – die gut sichtbare Minderheit – behaupten, daß sie ein ausschließliches Recht auf die Wahrheit haben. Sie lehnen alle Einwände gegen ihren Kampf für den Supranationalismus und für eine noch engere Union als undemokratisch, nationalistisch und reaktionär ab, und verurteilen öffentlich jeden, der mit ihnen nicht einverstanden ist, als potentielle Lukasenkos oder Milosevics. So einfach sollen wir das aber nicht annehmen.

Meine eigene Antwort auf diese Fragen ist klar und eindeutig:

-          ich wünsche mir, damit mein Land eine sich selbst regierende Nation im Rahmen der Europäischen Union bleibt;

-          ich bin überzeugt, daß die Schaffung eines künstlichen europäischen Staates kontraproduktiv sein wird;

-          ich hoffe, daß das Gleichgewicht zwischen dem Intergovernmentalismus und dem Supranationalismus in Europa auch in der Zukunft nicht grundlegend verschoben wird;ich glaube, daß Effektivität und Stärke der menschlichen Gesellschaft nicht aus Uniformität, sondern aus Experimenten, Diversität und Wettbewerb hervorgehen. 

Die wichtigste Entwicklung ist die Schaffung der Europäischen Währungsunion. Als Ökonom versuche ich wieder und wieder das Argument vorzubringen, daß Europa kein optimales Währungsgebiet darstellt (im Sinne der Definition, die wir in unseren Lehrbüchern finden). Die Argumente dazu sind wohlbekannt und ich werde sie jetzt nicht wiederholen. Das wird folgende Konsequenzen haben:

-          wirtschaftsschwache Regionen werden nicht mehr durch veränderbare (flexibele) Wechselkurse und durch differierende Zinsraten geschützt werden. Sie werden entweder zurückbleiben oder riesige Finanztransfers benötigen;

-          die Durchführung solcher Finanztransfers wird ohne eine Vereinigung der Finanzsysteme (ohne Fiskalunion) unmöglich sein werden;

-          die Vereinigung der Finanzsysteme (oder die Fiskalunion) wird ohne eine politische Vereinigung (ohne die politische Union) nicht funktionieren;

-          die Kosten der Europäischen Währungsunion werden ihren Nutzen (oder Erträge) übersteigen.

Diese unvermeidlichen Konsequenzen der Europäischen Währungsunion wurden aber den Bürgern Europas nicht genügend erklärt. Das zu tun ist unsere gemeinsame Aufgabe, für die Akademiker, als auch für die Politiker.

Zum Thema Währungsunion habe ich ganz spezielle Kentnisse. Ich war der letzte Finanzminister der sich auflösenden Währungsunion Namens Tschechoslowakei. Deshalb weiß ich etwas über die unvermeidliche Finanztransfers und auch darüber, daß sie ohne eine starke politische Basis und Unterstützung unmöglich durchzuführen sind.

Vor 10 Jahren sind wir Zeugen der Entstehung einer anderen Währungsunion geworden, die Deutschland genannt wird. Das war auch eine politisch beschleunigene Vereinigung. Die Kosten waren enorm. (Noch heute überstiegen die jährliche Finanztransfers aus West- nach Ostdeutschland das tschechische BSP.)

Diese zwei Beispiele aus der Realität bekräftigen meine theoretischen Argumente und Vorbehalte.

Lange Zeit wurde ich als ein Europessimist gennant werden. Ich bin aber wirklich ein Optimist, der weiß, daß die Optimisten die Pessimisten und besonders die Naivisten bekämpfen müssen. Und gerade das sehe ich heute in Europa als meine Aufgabe. Hoffentlich bin ich nicht allein.

Václav Klaus, 9.5.2001

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