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Interview mit Vaclav Klaus für den Deutscher Arbeitgeber Verband: Der Nationalstaat macht die Demokratie möglich

Deutsche Seiten, 5. 10. 2015

Peter Schmidt: Sie hatten vor kurzem Ihren Kollegen Jiri Weigl zitiert der sagte, dass der Sinn der aktuellen "Willkommenspolitik" sei, den Zusammenhalt der bestehenden europäischen Gesellschaften zu zerstören, weil auf den Trümmern die Politiker "ein neues Europa" aufbauen können. Das würde aber voraussetzen, dass die Politiker eine Vision "von etwas Neuem" haben. Für die deutsche Bundeskanzlerin kann man so etwas ausschließen. Zu beobachten ist doch eher, dass zumindest die Bundesrepublik erstmals in der Geschichte eine Kanzlerschaft erlebt ohne jede Vision über den bloßen Machterhalt hinaus. Müsste demnach eine andere Erklärung für die Kapitulation vor dem Migrantenansturm gefunden werden?

Vaclav Klaus: Ich stimme Ihnen zu, dass die heutigen Politiker in Europa keine wirkliche, authentische und positive "Vision" der Zukunft unseres Kontinents haben. Oder vielleicht haben sie doch eine, aber sie ist nicht erkennbar. Diese Politiker träumen jedoch  "von etwas Neuem".  Und dieses Neue, von dem sie träumen, ist ein Europa ohne Nationalstaaten.  Dabei sagen sie uns leider nicht, was für ein Monstrum dabei unvermeidlich auf unserem Kontinent entstehen muss. Es wird zwangsläufig im höchsten Maße  undemokratisch sein wird.

Warum sehen die deutschen Politiker dem  Migrantenansturm  tatenlos zu, oder befeuern ihn sogar? Weil sie der Ideologie des Multikulturalismus verfallen sind. Sie jubeln und rufen: "Der Nationalstaat ist tot!" Das ist das von ihnen erträumte "neue Europa".

Peter Schmidt: Genaugenommen ist die Rolle einer "Mutti", die man der deutschen Kanzlerin zuschreibt, ziemlich treffend. In der Tat ist Merkel ja kein "Leader" sondern ein reiner "Follower". Kein Plan, keine Vision ist spürbar. Laufzeitverlängerung der Kernkraftwerke, dann Fukushima, und eine planlose Kehrtwende. Mutti gibt den Flüchtlingen ein warmes Nest und versendet Selfies. Wie lange werden die Europäer diesem Ego-Trip noch zusehen? Die Folgen dieser Politik bringen ja nicht nur Deutschland an den Rand des noch Leistbaren, halb Europa ist ja schon in den Knien.

Vaclav Klaus: Ja, die meisten Politiker sind "Followers", keine "Leader". Sie denken nur kurzfristig, deshalb brauchen sie keine Pläne. Ohne die gegenwärtige Massenmigration hätte dieses Nichtstun vielleicht noch eine gewisse Zeit ungestraft weiter gehen können. So wird der Niedergang Europas jedoch dramatisch beschleunigt. Europa würde mehr und mehr unwichtig sein, aber sein langsames Sterben könnte relativ ruhig verlaufen – und wird fast nichts von den Europäern erfordern.

Peter Schmidt: Wer in Deutschland reale Zahlen und Hintergründe zum Ausmaß der Migrantenkatastrophe erfahren möchte, muss ausländische Medien hören, schauen und lesen. Die deutsche Presse hat sich selbst gleichgeschaltet. Ist dieses Kaschieren und dieser Tendenzjournalismus wirklich noch aus dem Trauma der deutschen Vergangenheit zu erklären und dem Wunsch, von Deutschland möge kein Elend mehr über die Welt kommen oder sind wir im Gegenteil gerade dabei, noch einmal und endgültig die Welt an den Abgrund zu bringen?

Vaclav Klaus: Ja und nein. Die deutschen Medien sind – von Prag aus gesehen – sehr vorsichtig und in gefährlicher Weise überschwänglich politisch korrekt. Sie trauen sich nicht, den wichtigsten Politikern in wichtigen Themen zu widersprechen oder zumindest mit ihnen zu polemisieren.

Die Politiker sind infolgedessen in ihrem Land viel zu beschützt. Das kennen wir bei uns nicht. Dieser Medienstil limitiert in Deutschland den politischen Diskurs. Es fehlt an Tiefe, es fehlt an Kanten und Ecken. 

Ich stehe der deutschen Presse jedoch nicht grundsätzlich kritisch gegenüber. Die Situation in anderen europäischen Ländern ist nicht besser. Ich finde in den deutschen Zeitungen sehr oft interessante Artikel.

Sie haben das Trauma der deutschen Vergangenheit erwähnt. Da möchte ich Ihnen eine Gegenfrage stellen: Ist es wirklich so, oder ist  dieses Thema eine immer passende und gerne verwendete Ausrede? Ist die deutsche Ambition, Europa wieder zu beherrschen, nicht stärker?

Peter Schmidt: Der stärkste Widerstand gegen die Zerstörung der europäischen Gesellschaften kommt aus ehemaligen kommunistischen Ländern wie Ungarn, Polen, Slowakei, Tschechien. Andererseits müssen sich diese Länder wehren gegen die Politik von Staatenkenkern wie Merkel und Gauck, die im Sozialismus möglicherweise die entscheidende Prägung erfahren haben. Haben Sie eine Erklärung für dieses Phänomen?

Vaclav Klaus: Das Wort "Staatenlenker" habe ich noch nicht gehört, ich finde es aber sehr treffend. Ich bin überzeugt, dass die Menschen in Mittel- und Osteuropa in der kommunistischen Ära viel verloren, aber auch etwas Wichtiges gelernt haben. Sie sind darum empfindlicher zu allen Symptomen von Unfreiheit und Undemokratie als die Leute, die den Kommunismus nur aus der Theorie kennen. Das ist unser Vorteil.

Leider haben nicht alle diese Erfahrung richtig verarbeitet und daraus gelernt. Ihre Bundeskanzlerin und ihr Bundespräsident gehören leider zu dieser Gruppe.

Peter Schmidt: Als nach 50 Jahren endlich in Europa die Herrschaft des Kommunismus gebrochen war, herrschte für kurze Zeit eine Stimmung des Aufatmens. Heute, eine Generation später, haben wir in vielen Ländern Europas, in Deutschland allemal, die freie Marktwirtschaft weitgehend aufgelöst und durch Planwirtschaft ersetzt: in der Energiewirtschaft, im Gesundheitswesen, in der Landwirtschaft, um nur einige Segmente herauszugreifen. Und die EU-Zentralherrschaft tut ja ein Übriges. Hat der Westen noch die Kraft und die Substanz zu einer Perestroika?

Vaclav Klaus: Ich wollte keine billigen Analogien machen, aber der Vergleich der heutigen EU mit Kommunismus scheint mir mehr und mehr als geeignet. Zuerst in der Wirtschaft, in der letzten Zeit auch in der Politik. Die Freiheit ist in Europa wieder bedroht. Ob der Westen noch die Kraft hat, diese Entwicklung umzukehren, bin ich mir nicht sicher.

Der heutige Westen ist vielleicht fähig, eine Perestroika in Gang zu setzen, was aber nicht reichen  wird. Auch der Kommunismus konnte mit der Perestroika à la Gorbatschow nicht mehr gerettet werden. Das haben wir sehr schnell verstanden. Deshalb haben wir einen fundamentalen Systemwechsel organisiert, anstatt eine aussichtslose Reform  - d.h. Perestroika - des alten Systems weiter voran zu treiben. Aber die Politiker, die es auch heute so klar sehen, finde ich in Europa nicht.

Peter Schmidt: Ist es in diesem Kontext despektierlich zu fragen, ob nicht einiges am Verhältnis der EU-Bürokratie zu den Nationalstaaten an die Zeit der Kommunistischen Internationalen erinnert?

Vaclav Klaus: Der Nationalstaat versus Internationalismus, oder Kosmopolitismus, oder Europeismus, sind unversöhnliche Gegensätze. Entweder-oder. Der Nationalstaat macht die Demokratie möglich, Internationalismus jeder Art führt zur Entdemokratisierung der Gesellschaft. Vor ein paar Tagen habe ich im Fernsehen gesagt: Im real existierenden Sozialismus  wollten wir das Proletariat der ganz Welt vereinigen. Nun, heute begrüßen wir herzlich die Migranten aus der ganzen Welt hier bei uns in Europa.

Peter Schmidt: Die Menschheit hatte großes Glück, dass die Zeit des Kalten Krieges friedlich zu Ende ging. Wenn man die aktuelle Lage in Europa kritisch beäugt, die Zentralisierung von Macht, Parteienherrschaft, Klientelwirtschaft allenthalben und die Einwanderung von Millionen Menschen, deren Glaubensgrundsätze und Rechtsverständnis weit hinter die europäische Aufklärung zurückfällt, stellt sich die Frage: Glauben Sie, das Schicksal wird uns noch ein zweites Mal so gnädig sein?

Vaclav Klaus: Man sagt doch bei Ihnen: Optimismus ist Plicht! Das scheint mir zu der gegenwärtigen Situation passend zu sein.

Langfristig werden wir – sogar mit den heutigen, und besonders mit den morgigen und übermorgigen Migranten – nicht am Ende der Geschichte stehenbleiben.  Aber – wie Keynes sagte – in the long-run we are all dead. Unsere vorstellbare Zukunft, das heißt die Zukunft unserer Kinder und Enkelkinder, sehe ich nicht besonders rosig.

Peter Schmidt, Präsident des Deutscher Arbeitgeber Verband, 5. Oktober 2015

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