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Bemerkungen zur Ansprache in Bonn: Europa braucht eine Wende

Deutsche Seiten, 26. 11. 2013

Vielen Dank für Ihre Einladung, die ich sehr hoch schätze. Zum letzten Mal war ich hier in Bonn ungefähr vor 20 Jahren, als diese Stadt noch die Hauptstadt Deutschlands war. Es war in einer ganz anderen, viel optimistischeren Zeit als heute. Einige von uns waren auch jünger, besonders die Männer.

In dieser Zeit hatte ich hier in Bonn mehrmals wichtige Treffen mit meinen damaligen Partnern der deutschen Politik – mit meinem Amtskollegen Finanzminister Theo Weigel und, als ich später die Rolle des Ministerpräsidenten der Tschechischen Republik übernahm, mit dem Bundeskanzler Helmuth Kohl. Diese Ära scheint mir heute schon fast als vergessene Prähistorie.

Vielen Dank für die Gelegenheit hier wieder einmal sprechen zu dürfen. Ihre Stiftung ist für mich mit den deutschen Liberalen (oder Ordoliberalen) und besonders mit dem großen Namen der deutschen Politik – mit Graf Otto von Lambsdorff – verbunden. Seine Ideen und seine politische Stellungen und Vollziehungen habe ich immer sehr hoch geschätzt. Ich bin sogar der Meinung, dass er – als Parteivorsitzende – die diesjährigen Wahlergebnisse der FDP nicht zugelassen hätte. Heute fehlen uns solche Persönlichkeiten – bei uns, in Deutschland, in ganz Europa.

Mit Otto von Lambsdorff habe ich mehrmals gesprochen. Ich erinnere mich insbesondere an eine Konferenz des tschechischen Liberální Instituts im Jahre 2001 in Prag[1], wo wir beide aufgefordert wurden, über unsere Erfahrungen mit den radikalen Transformationen unserer Länder zu sprechen. Er hat über den deutschen Wiederaufbau nach dem zweiten Weltkrieg gesprochen, ich über die Entwicklung der Tschechischen Republik nach dem Fall des Kommunismus. Wir beide argumentierten, dass es viele Unterschiede, aber auch viele Ähnlichkeiten gab. Das Büchlein mit unseren damaligen Reden habe ich noch heute in meinem Bücherregal zu Hause.

Die beiden Länder brauchten in dieser Zeit eine fundamentale Wende. Die damals organisierten radikalen Maßnahmen hatten das Ziel neue Stimmung und Atmosphäre in der ganzen Gesellschaft zu schaffen. Zum Glück haben die Reformpolitiker verstanden, dass sie die existierenden Fähigkeiten der Menschen, die in der Vergangenheit blockiert waren, erwecken und ihre natürlichen Ambitionen auflockern müssen. Die Zeit hat gezeigt, dass diese Politik in unseren beiden Ländern, besonders in der ersten Phase, erfolgreich und wirksam war.

Das war nicht das Ende. Bald kommt es zur zweiten, weniger positiven Phase der Entwicklung. Jetzt spreche ich mehr über die Tschechische Republik, ich bin kein Experte von der deutschen modernen Historie. Das Neue wird sehr schnell als etwas Ewiges und Selbstverständliches angenommen, nicht als eine sehr leicht zerbrechliche Außerordentlichkeit. Die Fortschifte sind kleiner geworden. Die am einfachsten ausgenutzten Wachstumsfaktoren sind schnell erschöpft worden und jeder Schritt vorwärts beginnt schwieriger zu werden. Die Reformmüde beginnt die ursprünglich positive und schöpferische Laune abzubeißen. Die Wachstumsphase läuft noch weiter, aber mannigfaltige Probleme, Lücken, Ungleichgewichte und Störungen werden sichtbar. Die Lage im Land ist im Prinzip noch gut, aber die menschlichen Erwartungen sind viel schneller als die Realität gewachsen. Das ist unsere Erfahrung.

Dann kommt es zur dritten Phase. Die akkumulierten Diskrepanzen in der Wirtschaft und die abgeschwächte Motivation der Menschen führen zu einer Krise, die ganz unerwartet entsteht und die die ernsthaften Enttäuschungen der Menschen hervorruft. Die gesellschaftliche Stimmung beginnt sich radikal zu verändern. Die Reformpolitiker verlieren ihre Kredibilität, der Populismus wächst und die Ära der Frustration ist da.

Das ist – meiner Erfahrung nach – die typische Entwicklung vieler Prozesse auf der gesellschaftlichen Ebene. Etwas Ähnliches haben wir in unserem Land und teilweise auch auf der EU-Ebene in den letzten Jahren erlebt. Dazu wollte ich jetzt ein paar Bemerkungen machen.

Die Zeit nach dem Fall des Kommunismus, nach dem Ende des kalten Krieges, nach der Öffnung der Grenze hat bei uns eine ganz natürliche Euphorie ausgelöst. Viele Menschen haben – unsinnig und unverantwortlich – erwartet, dass die bloße Beseitigung des alten irrationalen Systems die Freiheit und Prosperität automatisch mit sich bringt. Solche Erwartungen, glaube ich, hatten in dieser Zeit auch die Menschen in der ehemaligen DDR.

In unserem Land haben wir eine radikale Transformation verwirklicht, die uns am Anfang ermöglichte, die wichtigen und sichtbaren Fortschritte zu machen. Die damalige Situation in Europa hat uns geholfen. Der europäische Integrationsprozess war noch in der Phase, wo die Beschädigung der Nationalstaaten und die undemokratische Unifizierung des Kontinents nicht so weit fortgeschritten waren. Damals waren die positiven Effekte der europäischen Integration noch größer als die Kosten dieses Prozesses. Die Liberalisierungsmaßnahmen, die wir in unserem Land durchgeführt haben, waren in dieser Zeit auch noch nicht im völligen Konflikt mit dem europäischen Wirtschafts- und Sozialsystem. Die Zukunft haben wir – zusammen mit vielen anderen Europäern – mit rosaroten Brillen erwartet.

Etwas haben wir aber unterschätzt. Das europäische Integrationsmodell hat sich gerade damals – im Maastricht – radikal geändert. Die negativen Effekte dieses Wandels hatten am Anfang noch nicht die heutigen Konsequenzen und die Menschen waren nicht imstande die zukünftige Entwicklung zu sehen. Der Austausch eines Buchstabens – von G zu U – war nicht so unwichtig und nicht so harmlos wie es präsentiert wurde, was - ich hoffe - heute schon alle oder am wenigstens manche gut wissen.

Bald kam – bei uns und später in Europa – die zweite Phase. Das Wort soziale in dem Terminus „soziale Marktwirtschaft“ wurde immer wichtiger und das Wort Markt immer unbedeutender. Das Gefühl der Selbstverständlichkeit des Wachstums und Fortschritts; die Überschätzung der positiven Effekte der Globalisierung; der unbegründete Glaube an die Macht der Vernunft die menschliche Gesellschaft (und Wirtschaft) rationell von Oben zu lenken; die Vergessenheit der alten Werte, Traditionen, Gewohnheiten und Verhaltensmuster (und ihre Vernachlässigung, oder gar ihre absichtliche Unterdrückung) haben alles verändert. Das Wirtschaftswachstum ist kleiner geworden. Die BRIC-Länder - wie wir sie heute nennen - haben in dieser Zeit nicht geschlafen und haben riesige Fortschritte gemacht.

Die europäischen Unifizierungsprozesse, hier muss ich immer die Dolmetscher korrigieren, die es als Vereinigungsprozesse übersetzen wollen, sind sehr schnell weiter gegangen, ohne auf die Absenz der dazu notwendigen Bedingungen Rücksicht zu nehmen. Auch das evidente Scheitern des Versuches die europäische Verfassung durchzusetzen, haben die europäischen Politiker nicht wahrgenommen.

Der sichtbarste und kostspieligste Irrtum dieser Etappe war die Einführung der gemeinsamen Währung in den nicht genügend homogenen europäischen Wirtschaftsraum. Dass die heutige Eurozone kein „optimal currency area“, keine optimale Währungszone, ist, wissen jetzt schon alle. Oder fast alle. Dass eine solche Währungszone sehr teuer ist, sollten besonders die Deutschen besser als alle anderen Europäer wissen, nachdem sie über zwanzig Jahre enorme Summen des jährlichen Fiskaltransfers zahlen. Auch Ihre Heimat ist keine optimale Währungszone. Diese innerdeutschen Transfers sind viel größer als die Geldbeträge, die bis heute alle verschuldeten europäischen Länder des europäischen Südens bekommen haben. Das – hoffe ich – wissen sie.

Während dieser zweiten Phase der europäischen Entwicklung (in der Ära nach dem Fall des Kommunismus) haben alle diese – auf den ersten Blick – marginalen und zerstreuten Einzelheiten des europäischen Unifizierungsprozesses die „kritische Masse“ erreicht, die das Funktionieren des Ganzen radikal änderte. Das war – in der Terminologie der marxistischen Dialektik (und Karl Marx studierte hier in Bonn, wenn ich mich nicht irre) – die Metamorphose der Quantität in die Qualität.

Diese Entwicklung - in Europa und auch in der Tschechischen Republik – hat nur auf einen exogenen (äußeren) Impuls gewartet. Dieser Impuls kam mit der amerikanischen Finanzkrise und hat sehr schnell alle Schwächen und Defekte des europäischen Wirtschafts- und Sozialsystems und des europäischen Integrationsmodells ans Licht gebracht.

Die Phase Nummer Drei hat demzufolge angefangen. Die dadurch verursachte wirtschaftliche Stagnation dauert schon eine relativ lange Zeit und hat keine einfachen Erklärungen in der Wirtschaftskonjunkturtheorie, die wir in unseren Lehrbüchern finden. Die Staatshaushaltsdefizite setzen fort und die Verschuldungskrise vertieft sich. Die bisherigen Maßnahmen bemühen sich die Defizite nur zu verringern, nicht zu eliminieren. Die Fiskaltransfers unter den Eurozone-Ländern sind schon zu einer Normalität geworden. Der sinnlose Kampf mit den CO2 Emissionen geht weiter – trotz aller rationellen Kontraargumenten. Die Herrschaft der politischen Korrektheit blockiert die notwendigen Diskussionen. Neue Ideologien – Multikulturalismus, Humanrightismus, Environmentalismus, aggressiver Feminismus, Homosexualismus und andere – verdrängen die alten Werte und Traditionen, die heute kaum jemand verteidigt.

Damit müssen wir – wenn ich wir sage, meine ich die europäischen Liberalen – etwas sehr schnell machen. Unser Kontinent braucht eine neue Wende, einen neuen Wiederaufbau. Wir müssen unser Denken, unser Verhalten, unsere Ambitionen und Bestrebungen ändern. Die heutigen kosmetischen Maßnahmen sind nicht genügend. Wir brauchen neue Persönlichkeiten wie Otto von Lambsdorff. Die heutigen europäischen Politiker haben nicht den notwendigen Mut, die notwendige Überzeugung, die notwendigen Kenntnisse und besonders die notwendige Entschlossenheit, das Risiko zu übernehmen.

Wenn wir die fundamentale Transformation in Europa nicht bald und schnell vorbereiten und verwirklichen, wird die heutige europäische – nicht nur wirtschaftliche – Stagnation fortgesetzt werden. Wir werden das Ende des Liberalismus, den Verlust der Demokratie, den wachsenden Populismus unvermeidbar erleben.

Die Deutschen fühlen es heute wahrscheinlich noch nicht so dramatisch. Für sie ist die heutige europäische Entwicklung relativ günstig. Trotz aller Klagen und Unzufriedenheiten mit den Fiskaltransfers, die die Deutschen zahlen, ist die gesamte Bilanz zu ihren Gunsten. Ihr Beitritt in die Eurozone mit dem unterbewerteten Wechselkurs hat den Deutschen geholfen. Die niedrige Inflationsrate auch. Die Verlierer des Europrojekts sind die Länder des europäischen Südens. Trotzdem haben sie selbst dieses Projekt nicht verdorben. Sie haben nur einen großen Fehler gemacht, dass sie in die – für sie nicht geeignete – Währungszone eingetreten sind. Dafür werden sie langfristig zahlen. Und wir alle mit ihnen.

Alle diese Themen habe ich in meinem unlängst herausgegebenen Buch diskutiert. Das Buch hatte – ursprünglich, in der tschechischen Sprache – den Titel „Europäische Integration ohne Illusionen“. Der deutsche Verleger hat das Buch anders genannt: „Europa braucht Freiheit“[2], was auch nicht schlecht ist und was auch meine Überzeugung ausdrückt. Die wirtschaftlichen und sozialen Illusionen sind mit der heutigen Absenz der Demokratie in Europa untrennbar verbunden.

Optimismus ist Pflicht, aber die Naivität und Wunschdenken sind kontraproduktiv. Deshalb meine heutige relativ pessimistische Rede. Wir alle sind uns – ich glaube – unserer Verantwortung und unserer Aufgaben bewusst. Und das ist der Grund für meinen begrenzten Optimismus.

[1] Reform und Transformation, Liberální institut, Walter Eucken Institut und Friedrich-Naumann Stiftung, Prag, 2003.

[2] Klaus V., Europa braucht Freiheit: Plädoyer eines Mitteleuropäers, Lit Verlag, Berlin, 2012.

Václav Klaus, Internationaler Club La Redoute, Bad Godesberg, Deutschland, 25. November 2013.

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