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Die heutigen Probleme Europas brauchen eine radikale und tiefgehende Lösung

Deutsche Seiten, 10. 11. 2011

Vielen Dank für die Einladung zu dieser feierlichen Veranstaltung, vielen Dank für die Möglichkeit, zum ersten Mal in meinem Leben in Dortmund zu sein. Ich bin sehr oft in Deutschland – in diesem Jahre war ich in Berlin, Nürnberg und Hamburg – aber hier in Dortmund nicht. Noch einmal vielen Dank für diese Gelegenheit.

Es scheint mir, dass man heute in Europa kein anderes Thema als Europa haben kann. Dieses Thema nehme ich sehr ernst, ähnlich wie vor 22 Jahren den Kollaps des Kommunismus und den Aufbau der freien und demokratischen Gesellschaft in unserem Lande und im ganzen Mittel- und Osteuropa. Die Herausforderung, die vor uns jetzt steht, ist von ähnlicher Bedeutung. Das heutige Problem Europas wird nicht an den immer häufigeren EU-Gipfelkonferenzen gelöst, seine Tiefe und Dringlichkeit braucht etwas Anderes. Es braucht eine fundamentale Wende, einen Wechsel des gesamten Paradigmas unseres Benehmens und unseres Denkens.

Über Europa habe ich schon viele Reden gehalten, viele Aufsätze geschrieben und sogar Bücher verfasst, aber immer wieder habe ich das Gefühl, dass meine Ansichten von vielen Politikern und Journalisten nicht nur trivialisiert und missinterpretiert, sondern sehr oft auch karikiert und dämonisiert werden. Deshalb habe ich mich sehr gefreut, wenn am Anfang dieses Jahres mein Buch (eine Sammlung von meinen Reden und Aufsätzen) zu diesem Thema in Nürnberg veröffentlicht wurde. Für mich war es auch eine große Ehre, dass der ehemalige Bundespräsident Roman Herzog zu diesem Buch ein Vorwort geschrieben hat. Das Buch kann man hier – hoffe ich – erhalten.

Mit Bedauern habe ich akzeptiert, dass die Ideen selbst die Politik sowie die Stimmung in den Medien nicht ändern können. In der letzten Zeit haben wir leider, aber zum Glück, einen wichtigen Helfer bekommen, und zwar die reale Situation in Europa. Die Entwicklungen auf unserem Kontinent, die nicht mehr zu verbergen sind, führen dazu, dass die Menschen – mit großer Verspätung – zur Überzeugung gekommen sind, dass mit Europa manches nicht in Ordnung ist.

Die Leute verstehen, dass wir vor einer grundsätzlichen Entscheidung stehen, die bald getroffen werden muss: Sollen wir die Tiefe der heutigen europäischen Krise und ihren nichtzufälligen und nichtvorübergehenden Charakter weiter ignorieren oder sollen wir die europäische Situation endlich ernst nehmen? Ich glaube, dass es klar ist, dass ich nicht über die Verschuldungskrise der Eurozone spreche. Ich spreche über die Krise des europäischen Wirtschafts- und Sozialsystems und des Models der europäischen Integration.

Die Mehrheit der europäischen Politiker glaubt noch heute, dass die Entwicklung in Europa im Prinzip positiv ist, dass die Probleme, vor denen wir heute stehen, nicht fatal sind und dass die alten oder nur oberflächlich modifizierten Politiken fortgesetzt werden können, was für mich unverständlich ist.

Vor ein paar Wochen habe ich den EU Kommissar Herrn Almunia über die Notwendigkeit des Rückgangs zu der so genannten Lissabonstrategie sprechen gehört. Ich konnte nicht meinen Ohren glauben. Dieses – elf Jahre alte Dokument – wurde bereits im Moment seiner Entstehung als eine leere Geste betrachtet. 

Die einzige politisch korrekte Kritik, die bewilligt oder sogar willkommen ist, ist die These, dass die vorhergehenden institutionellen Änderungen in Europa zwar richtig, aber nicht genügend waren. Oder – als maximales Zugeständnis – dass diese Änderungen eine falsche Abfolge hatten, die man so bald wie möglich korrigieren muss.  Man hält es für einen Fehler, dass die EWU vor der EFU und der EPU kam. Für mich ist das aber nicht die Frage der schlechten Abfolge. Ich stimme mit dem ehemaligen britischen Finanzminister Nigel Lawson überein, nach dem „es jetzt völlig klar ist, dass die Entscheidung, die Europäische Währungsunion zu schaffen, eine der unverantwortlichsten politischen Nachkriegsinitiativen war“ (The Times, September 5, 2011).

Ein relativ neues europäisches Phänomen ist das Gefühl einer Absenz von Leadership und die Vorschläge, diese Absenz durch die kontinentalweite „Governance“ zu korrigieren. Es ist mit der unausgesprochenen Voraussetzung verbunden, dass die mangelnden demokratischen Fundamente dieses kontinentalen Regierens nicht beachtet werden müssen. Der ehemalige EU-Kommissar Mario Monti hat vor ein paar Wochen ausdrücklich gesagt, dass in einer Gruppe von  27 Staaten „eine bestimmte Führungsasymmetrie sein muss“. Auf diesen offenen und unverdeckten Appell, der direkt gegen die europäische demokratische Tradition geht, hat niemand reagiert.

Die reale Situation in Europa zwingt uns, es anders zu sehen, unter der Bedingung, dass wir nicht mit dem jetzigen Zustand zufrieden sind, dass wir die dauerhafte europäische Stagnation überwinden wollen, dass wir die europäische Verschuldungskrise lösen wollen und vor allem unter der Bedingung, dass wir zur Demokratie in Europa zurückkehren wollen. Die letzte „Bedingung“ ist für mich die allerwichtigste.

Leider kann die Wende nicht durch bessere Governance oder Leadership erreicht werden. Nach einer besseren Governance und Leadership zu fragen, bedeutet die Fortsetzung des existierenden Systems, eines Systems, das durch starke persönliche Interessen, durch „rent-seeking“ der bürokratischen „Klasse“, und nicht zuletzt durch einen irreführenden und veralteten Glauben an die positiven Effekte eines immer engeren Europa charakterisiert ist.

Das sichtbarste und dringendste Problem des heutigen Europa ist das Schicksal (oder die Zukunft) der Europäischen Währungsunion. Ihre ersten zehn Jahre hatten nicht die positiven Effekte geliefert, die man von ihnen – zu Recht oder zu Unrecht – erwartet hat. Es wurde versprochen, dass die Währungsunion das Wirtschaftswachstum akzelerieren wird, die Inflation niedriger machen wird und vor allem die Mitgliedstaaten vor verschiedenen externen Störungen schützen wird.

Nichts davon ist eingetreten. Die Einführung der gemeinsamen Währung führte zu keiner Homogenisierung Europas. Nach der Entstehung der Euro-Zone hat sich das Wirtschaftswachstum in ihren Ländern im Vergleich zu den vorhergehenden Jahrzehnten weiter verlangsamt. Auch die Handelsbilanzen und Staatshaushalte haben sich verschlechtert.

Leute wie ich haben immer gewusst, dass die Vorstellung einer gemeinsamen Währung in ganz Europa eine falsche Idee ist, die zu großen wirtschaftlichen Problemen und notwendigerweise auch zu der undemokratischen Zentralisierung des Kontinents führen muss. Gerade das passierte. Die Eurozone der heutigen 17 Staaten ist – nach den elementaren Lehrbüchern der Volkswirtschaftstheorie – keine „optimale Währungszone“. Ihr Entstehen war eine rein politische Entscheidung. Und wir sollten wissen, dass wenn die Währungszone keine optimale Währungszone ist, kann es nicht anders sein, als dass die Kosten für deren Schaffung und Erhaltung die Erträge übersteigen, die deren Funktionieren mit sich bringt. Die Wörter „Schaffung“ und „Erhaltung“ sind wichtig. Die meisten Wirtschaftskommentatoren waren mit der Leichtigkeit des ersten Schrittes (Gründung der gemeinsamen Währungszone) zufrieden. Es wurde der Eindruck erweckt, dass mit diesem Projekt alles in Ordnung ist.

In den letzten Jahren wurden die negativen Effekte der zu engen „Zwangsjacke“ der gemeinsamen Währung mehr und mehr evident. Beim „guten Wetter“ (im ökonomischen Sinne des Wortes) entstehen keine sichtbaren Probleme. In einer Krise (oder „beim schlechten Wetter“) manifestiert sich der Mangel an Homogenität sehr stark. Die Währungszone zu bewahren ist sehr teuer. Das wissen die Deutschen sehr gut, die Erfahrung mit der Wiedervereinigung ist noch nicht vergessen.

Es ist schwierig über die Zukunft zu spekulieren. Meiner Abschätzung nach wird der Euro nicht scheitern, weil in seine Existenz so viel politisches Kapital investiert wurde. Das Projekt wird fortgesetzt werden aber um einen sehr hohen Preis, mit sehr niedrigem Wirtschaftswachstum oder sogar Stagnation und mit der Hilfe von hohen Finanztransfers.

Meine Position ist gut bekannt: die kosmetischen Änderungen und kleinen Parameter-Korrekturen werden nicht helfen. Wir brauchen einen fundamentalen systemischen Wandel, einen Wandel des herrschenden Paradigmas, was mindestens zwei Sachen bedeutet:

- die fundamentale Transformation des europäischen wirtschaftlichen und sozialen Systems, und
- die Umstrukturierung der europäischen institutionellen oder politischen Ordnung (anders gesagt, der Form der europäischen Integration).

Was bedeutet es?

  1. Wir müssen uns von dem heiligen Mantra der europäischen Politiker befreien – das heißt von der unproduktiven und paternalistischen sozialen Marktwirtschaft, die durch die wachsende Rolle der grünen Ideologie noch weiter geschwächt wird.
  2. Wir müssen akzeptieren, dass die ökonomischen Anpassungsprozesse eine bestimmte Zeit dauern, und dass die ungeduldigen Politiker und Regierungen die Situation nur verschlechtern. Wir müssen die Vorbedingungen für das Wirtschaftwachstum vorbereiten und nicht das Wachstum durch Staatsinterventionen zu akzelerieren versuchen.
  3. Wir sollten einen radikalen Plan zur Reduzierung der Ausgaben der Staatshaushalte vorbereiten und aufhören, mit den steuererhöhenden Lösungen zu flirten. Dieser Plan muss sich vor allem mit den mandatorischen Ausgaben befassen, weil die diskretionären Ausgabenkürzungen langfristig quantitativ mehr oder weniger unbedeutend sind.
  4. Wir sollten die schleichende aber ständig wachsende grüne Legislative aufhalten. Wir sollten es verhindern, dass die Grünen unsere Wirtschaft übernehmen, unter der Fahne so fehlerhafter Ideen wie die Doktrin der globalen Erwärmung.
  5. Wir sollten die Zentralisierung, Harmonisierung und Standardisierung des europäischen Kontinents aufhalten und nach einem halben Jahrhundert von solchen Maßnahmen, die radikale Dezentralisierung, Deregulierung und Desubventionierung unserer Wirtschaft und Gesellschaft neu anfangen.
  6. Wir müssen die Demokratie wieder zurückbringen. Und Demokratie kann es nur auf der Ebene der Staaten geben, im Rahmen des ganzen Kontinents kann sie nicht existieren. Das heißt, wir müssen demütig von dem, leider nicht so kurzen Ausflug zum Supranationalismus wieder zum Intergovernmentalismus zurückkehren.

Es zu machen hat natürlich seine politischen Risiken. Es ist jedoch viel mehr riskant, es nicht zu machen.

Václav Klaus, Rathaus, Dortmund, 10. November 2011  

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