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Überlegungen über Jürgen Habermas

Deutsche Seiten, 23. 11. 2010

Jürgen Habermas, der bekannte deutsche Soziologe und Philosoph von der Frankfurter Goethe-Universität, schrieb einen interessanten Artikel, der eine Polemik geradezu herausfordert. Über das New York Times Syndicate kam er unter dem Titel „Deutschland zerstört sich selbst“ auch in die Tageszeitung Hospodářské noviny (5. November) und somit zu unseren Lesern.

Ich muss gleich zu Anfang bemerken, dass ich mir nicht sicher bin, ob Professor Habermas seinen Artikel im Original wirklich so betitelt hat, da der Artikel nicht davon handelt. In der New York Times (28. 10. 2010) erschien der gleiche Text unter dem Titel „Leadership and Leitkultur“, etwas ganz anderes, aber von Leadership handelt der Artikel auch faktisch nicht. Spielen da die Schlagzeilenmacher mit uns?

Der für mich so interessante Text ist die Reaktion des bedeutenden deutschen liberalen (liberal eher im amerikanischen als europäischen Sinne), progressivistischen (ausdrücklich anti-konservativen), modernistischen und in vielerlei Hinsicht revolutionär-radikalen Philosophen, der Hitler und den Zweiten Weltkrieg als Jugendlicher erlebt hat, auf die Atmosphäre in Deutschland nach Erscheinen von Thilo Sarrazins Buch „Deutschland schafft sich ab“. Ich habe überhaupt keinen Grund (und noch weniger genügend Raum und Zeit), Sarrazins – große Diskussionen auslösendes – Buch zu analysieren und seinen Verfasser zu verteidigen oder zu verurteilen. Das wäre etwas ganz anderes. Mir geht es hier um Jürgen Habermas und um seinen konkreten Text.

Ich habe keine Chance, die deutsche Polemik über den Multikulturalismus detailliert zu verfolgen, hier reicht mir jedoch Habermas’ Artikel, von dem ich nicht weiß, ob er in Deutschland angenommen wird oder nicht. Die Eliten, würde ich erwarten, werden ihn loben und die gewöhnlichen Leute – wenn sie ihn lesen würden – im Prinzip ablehnen. Dennoch steht dort viel Interessantes.

Ich bewundere zum Beispiel Habermas’ explizites Bekenntnis zur politischen Korrektheit im Zusammenhang mit seiner Aburteilung der Rechten, die „eine Kampagne gegen die politische Korrektheit eingeleitet“ hätte – das würde sich doch wohl kaum jemand erlauben. Politiker und ihre akademischen Fellow Traveler mögen die politische Korrektheit, sie leben gut darin, öffentlich bekennen sie sich jedoch nur ungern dazu. Habermas ist anders.

Ebenso überrascht mich seine Verteidigung des Multikulturalismus als einziger richtiger Medizin gegen die Durchsetzung der „Leitkultur“. Der Begriff „Leitkultur“ ist neu für mich (in vieler Hinsicht aber eine Bereicherung!) und die Ansicht, dass eine darauf beruhende Einstellung zum Multikulturalismus den „Drang zu immer stärkerer Xenophobie stärkt“, ist auch eine wichtige Information für mich.

Ich habe nie das Argument verstanden, dass die Europäische Union benötigt wird, um Kriege in Europa zu verhindern. Jetzt sehe ich, dass es sich um ein breiteres Konzept handelt. Die „schreckliche deutsche Geschichte“ (Begriff von Professor Habermas) zu vermeiden ist seiner Meinung nach nur möglich, indem die Leitkultur aufgehoben und der Zufluss von Immigranten in das Land gefördert wird. Einige von uns dachten immer, dass „schreckliche deutsche Geschichte“ nur durch eine tatsächliche Demokratie zu vermeiden ist, aber in den Plänen der liberalen Philosophen gibt es eine solche wohl nicht mehr.

Professor Habermas lehnt die Demokratie erwartungsgemäß im Prinzip ab und macht dies auf elegante Weise – durch Ablehnung der „formalistischen Auffassung von Demokratie“ und Verteidigung für die Durchsetzung von Ansichten der „unterlegenen Minderheit“ (hier erinnert er an den gerade aktuellen Streit um den Stuttgarter Bahnhof) mittels Straßendemonstrationen. Nostalgisch erinnert er daran, wie „spontan die außerparlamentarische Opposition der Sechziger Jahren war“ (das kommt mir fast unglaublich vor) – damals seien es aber angeblich nur junge Menschen gewesen, während heute „Menschen aller Altersgruppen und Bevölkerungsschichten auf die Straße gehen“. Die „Frankfurter Schule“ war für mich immer eine linke, ein wenig anarchistische Bewegung, ein solch expliziter Ausdruck überrascht mich jedoch.

Zum gleichen Gedankenkreis gehört auch seine Ansicht – die bei uns zum Beispiel explizit von Václav Bělohradský vertreten wird – dass die „Leitkultur“ eventuell durch „deutsche Kultur“ definiert werden sollte, und nicht durch die Religion, wie es heute in Deutschland angeblich geschehe.

Von dort ist es dann nur ein kleiner Schritt zu Habermas’ Bewunderung für die Aussage des deutschen Präsidenten Wulff, dass nicht nur Christentum und Judentum, sondern „auch der Islam zu Deutschland gehöre“. Sieht es der berühmte Philosoph wirklich so einfach? Will er vielleicht nur damit ausdrücken, dass es in einem freien Land erlaubt ist, an den Islam zu glauben? Wenn dem so ist, habe ich nichts dagegen. Nicht nur das. Es würde mich wundern, ich könnte es aber auch akzeptieren, wenn die Leute spontan und authentisch zum Islam übertreten würden – aus eigener Erleuchtung, da sie den Islam früher nicht kannten. Sieht Habermas jedoch die künstliche Einschleppung des Islam nach Deutschland durch Immigranten, die wegen Arbeit und freizügiger Sozialzuwendungen in das Land gelockt wurden, als etwas Gerechtfertigtes und Positives? Als etwas, was „zu Deutschland gehört“? Wahrscheinlich ja.

Entsteht die Ablehnung eines großen Teils der Öffentlichkeit mit der zahlenmäßig starken, im Prinzip kollektiven Immigration nur daraus, dass „kaltblütige Politiker feststellen, dass sie soziale Befürchtungen ihrer Wähler zu ethnischen Aggressionen gegen schwächere soziale Gruppen“ zu ihren eigenen Gunsten umwandeln können? Merkt dieser Philosoph denn nicht, dass die Masseneinwanderung eine direkte Folge der deutschen „sozialen Marktwirtschaft“ ist, die ein lehrbuchhaftes Modell des Paternalismus oder – um einen weiteren Begriff Habermas’ zu verwenden – des „sozialen Parasitismus“ ist?

Hat Habermas Recht, wenn er die Meinung, dass Einwanderer aus dem Ausland auch „Werte und Gewohnheiten“ der einheimischen Kultur annehmen sollten, als Irrtum bezeichnet? Dass eine Vertretung dieser Ansicht bedeutet, zur ethnischen Auffassung der deutschen Verfassung zu „schlittern“? Ist etwas wie die „ethnische Auffassung der Verfassung“ vorstellbar? Ich kann mir das nicht vorstellen. Und ich glaube nicht, dass jemand so etwas ernst meinen kann.

Dabei geht es natürlich nicht nur um Deutschland. Ich weiß, dass wir zu Hause auch unseren kleinen Habermase haben, die auch wissen, dass das Chaos, Straßenproteste und Happenings im oberen Teil des Wenzelsplatzes für sie ideal sind, denen es – ebenso wie Professor Habermas – nicht gefällt, die „altvertraute Welt“ zu erhalten oder wirtschaftlichen Fortschritt anzustreben (Fortschritt für alle, da sie ihn für sich selbst als selbstverständlich ansehen) und die – wie er – „die Zukunft mit ihren Herausforderungen gemeinsam gestalten“ wollen. Dies ist ein sehr konstruktivistisches Projekt. Geben wir uns damit zufrieden, den zukünftigen Generationen eine freie und demokratische Gesellschaft zu überlassen. Die Zukunft werden sie sich sicher selbst „gestalten“.

Václav Klaus, Hospodářské noviny, 22. November 2010

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