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Václav Klaus: Heutiges Europa von Prag Gesehen

Deutsche Seiten, 3. 5. 2024

Vielen Dank für die Einladung. Gleich am Anfang muss ich sagen und zugeben, dass ich lange Zeit dachte, dass Kloten nur ein Flughafen ist. Jetzt sehe ich, dass es sich auch um eine Stadt handelt. Das ist für mich eine wichtige Belehrung. Vielen Dank für diese Gelegenheit.

In der Schweiz, und besonders in Zürich, habe ich in den letzten mehr als drei Jahrzehnten, das heißt nach dem Fall des Kommunismus, mehrmals gesprochen, öfter am Anfang dieser Ära. Damals waren wir neu und unbekannt und Sie waren neugierig zu entdecken, was in unseren Köpfen steckt. Jetzt sind wir schon alt, bekannt, und in mancher Hinsicht auch untergeworfen (im Sinne von Michel Houellebecq‘s bekanntem Buch).

Ich wurde gefragt, hier heute Abend etwas zum heutigen Europa zu sagen. Einer von Ihrer Gruppe war im letzten Oktober bei meinem Auftreten in der Nähe von Salzburg und hat mir vorgeschlagen, hier etwas Ähnliches zu sagen. Deshalb bin ich heute da.

In der zweiten Hälfte des letzten Jahrhunderts hat der östliche Teil Europas etwas Tragisches, aber auch Wichtiges erlebt. Deshalb haben wir – ich meine wir in Mittel-und Osteuropa – das Gefühl, dass wir dank unserer Erfahrungen und Erlebnissen der kommunistischen Ära die Welt, und besonders die Engpässe der modernen Gesellschaft, besser verstehen als die Westeuropäer, die solche Erfahrungen nicht haben. Die Westeuropäer konnten diese Zeit in Freiheit und Wohlstand verbringen.

Trotzdem haben uns die Westeuropäer lange Zeit für unerwachsene und unreife Partner gehalten, die nicht imstande sind, die heutige Welt und alle Schönheiten des Westens zu verstehen und zu schätzen. Das ärgerte uns enorm.

Auch in der kommunistischen Zeit waren wir ein Teil Europas und ein Teil des europäischen Denkens. Trotz aller Schwierigkeiten konnten wir uns über den Eisernen Vorhang hinwegsehen. Auch damals haben wir ähnliche Bücher gelesen und denselben Filmen gesehen wie die Menschen hier. Bestimmt nicht alle, aber die Hauptwerke ja. Friedrich Dürrenmatt und Max Frisch oder Hermann Hesse waren bei uns damals ganz gut bekannt.

Wir wissen (und wussten), dass wir während der kommunistischen Zeit viel verloren und verpasst haben. Gleichzeitig sind wir überzeugt, dass wir damals auch etwas Wichtiges gelernt haben. Wir haben die Substanz der Debatte über Freiheit und Unfreiheit durchlebt, nicht nur theoretisch studiert. Wir sind deshalb nicht bereit, uns mit einfachen Lehrbuchsslogans zufrieden zu stellen.

Die Stellung von manchen von uns zur heutigen Welt ist deshalb kritischer und ablehnender als hier. Die heutige Lage sehen wir als eine fundamentale Krise des ganzen Westens. In meinem Institut in Prague haben wir – in tschechisch – zwei Bände mit dem Titel „Die Selbstdestruktion des Westens“ herausgegeben.

In den letzten Jahren haben wir uns sogar erlaubt, Ähnlichkeiten zwischen der heutigen Welt und der Welt der spätkommunistischen Ära zu vergleichen, was einige Leute ärgert. Diese Ähnlichkeiten sind sichtbar für alle, die sie sehen wollen. Die heutigen Eingriffe in die Meinungsfreiheit sind mit denjenigen vergleichbar, die wir damals erlebt haben. Man kann heute nicht mehr freisprechen, man muss um seine Karriere, seine Familie, seine Freiheit, ja sogar um sein Leben fürchten. Wie damals. Ich muss wiederholen, dass ich über Spätkommunismus spreche.

Jetzt befinden wir uns wieder in einer Ära der intellektuellen Konformität. Es geht nicht nur um die evidente Beschränkung der Meinungsfreiheit, sondern auch um die Akzeptanz der Herrschaft einer einzigen Ideologie, was mich an die totalitäre Natur des Kommunismus erinnert. Ich meine die globalistische, progressivistische Doktrin.

Deshalb spreche ich in meinen vielen Reden (und nicht nur in meiner Heimat) über den arroganten Konstruktivismus der heutigen Politiker und Ideologen, über die zunehmende Manipulation der Menschen, über die massive Indoktrinierung der jungen Generationen, über den wachsenden demokratischen Defizit. Im November 1989 hatten wir ganz andere Pläne und Träume als so eine post-demokratische Gesellschaft wie heute zu erschaffen.

Wir wollten die freie Marktwirtschaft im Sinne von Mises und Hayek und die klassische parlamentarische Demokratie mit ideologisch klar definierten politischen Parteien. Die heutige Realität ist ganz anders. Wir leben in einer politisch korrekten, zunehmend mono-ideologischen Welt der liberalen Demokratie, in der die Freiheit nicht an erster Stelle steht.

Wir sind Zeugen einer fundamentalen Neugestaltung der westlichen Gesellschaft im Sinne des Progressivismus, Environmentalismus, Genderismus, Multikulturalismus und anderer heutigen ideologischen Ambitionen. Das zu bremsen, ist die wichtigste Aufgabe der Gegenwart.

Erlauben Sie mir auch ein paar Worte zum Thema Migration zu sagen. Die heutige Massenmigration betrifft die Basis unserer Gesellschaft. Sie ist kein Randphänomenon. Die Massenmigration der heutigen Ära ist nicht vom Himmel gefallen. Sie wurde lange Zeit ideologisch vorbereitet und war undist pragmatisch organisiert. Die Massenmigration haben nicht die Migranten, sondern die europäischen Politiker verursacht. Nur deshalb sind die Migranten da. Ich habe Angst, dass die europäischen Politiker aus den heutigen Migranten einen neuen europäischen Menschen, einen homo bruxelarum, erschaffen wollen.

Jetzt haben wir aber nicht nur die alte Migration. Wir haben auch eine neue Migration, die mit dem ukrainischen Krieg zusammenhängt. Diese Migration fühlen die Schweizer bestimmt auch, die Situation in Mittel- und Osteuropa ist jedoch viel dramatischer. Meine Heimat, die Tschechische Republik, ist Nummer eins in der ganzen Welt in der Anzahl von ukrainischen Migranten pro Kopf (per capita).

Das alles zusammen bedeutet, dass wir einen brutalen Angriff auf die Vergangenheit, auf die Gegenwart und auf die Zukunft der westlichen Gesellschaft erleben. Wir erleben auch die Arroganz der Politiker, Bürokraten, Intellektuellen und Technokraten, die sich bemühen, unsere Gesellschaft, und damit uns alle, zu beherrschen.

Ein großes Problem von heute ist, den Feind klar und verständlich zu identifizieren. Die Progressivisten und Globalisten haben in ihren Köpfen keine kohärente Doktrin. Der Feind bleibt zerstreut. Kommunismus war in dieser Hinsicht ein einfacher Feind. 

Ein Kandidat für die Rolle des Hauptfeindes bietet sich an. Heute sehe ich die Grünen, „in all their guises“, in allen ihren Deckmänteln, als Hauptgefahr. Sie diktieren die europäische, und besonders die deutsche Politik. Green Deal ist ihr letztes Meisterstück.

Auch die Grünen sind aber nur ein Teil der heutigen Welt. In der Gegenwart sollte man auch über Genderismus, Transnationalismus, Multikulturalismus, Human-Rightismus und die mit ihm verbundene Apotheose von neuen positiven Rechten sprechen. Diese Doktrinen gehen Hand in Hand, manchmal zusammen, manchmal gegenseitig, aber parallel und gleichzeitig, was einen wichtigen synergischen Effekt hat, der die Dekonstruierung der heutigen Welt mit sich bringt. 

Ich bin überzeugt, dass das alles nicht von außen gekommen ist. Es handelt sich nicht um einen Ideenimport von anderen Gesellschaften oder sogar Zivilisationen. Es wurde „hausgemacht“. Hier im Westen. Warum ist es so? Was haben wir vergessen oder falsch gemacht? Warum haben wir es ermöglicht? Warum waren wir so leichtsinnig und unvernünftig? Zu diesen Fragen nur ein Paar „tentative“ Antworten.

1.  Die Menschen im Westen sind nach der langen Ära der Ruhe und Prosperität im Prinzip zufrieden und wollen sich deren Ende weder vorstellen noch zulassen. Sie glauben, dass diese Ära – nur mit kleinen, kurzfristigen und vorübergehenden Schwankungen – permanent dauern wird. Die Zerbrechlichkeit der außerordentlichen Ära der letzten siebzig oder sogar fast achtzig Jahre ist nicht wahrgenommen worden. Ihre wirklichen Gründe sind nicht verstanden und der Glaube an einen permanenten „march upward“ ist fast unzerstörbar. Das finde ich gefährlich.

2. Viele Menschen denken, dass alles prinzipiell Negative nur im Kommunismus und in ähnlichen totalitären Systemen zu finden ist. Das relativ schnelle und einfache Ende des Kommunismus hat sie davon überzeugt, dass dieses Ereignis auch das Ende der falschen Ideologien und der sozialen Erschütterungen mit sich bringt. Das finde ich absolut falsch.

3.  Die Menschen glauben an die Permanenz der Demokratie und an ihre ausschließlich positiven Folgen. Sie glauben, dass die Demokratie ein Automat ist, der von sich selbst funktioniert. Wie wir jetzt sehen, ist es leider nicht so. In seiner Inaugurationsrede als Gouverneur von Kalifornien im Januar 1967 machte Ronald Reagan seine berühmte Aussage: "Die Freiheit ist eine zerbrechliche Sache, und sie ist nie mehr als eine Generation vom Aussterben entfernt. Sie muss von jeder Generation immer wieder neu erkämpft und verteidigt werden". Diese Wahrheit und Weisheit wollen die heutigen Generationen nicht hören.

Die Demokratie wurde durch die Schwächung der politischen Parteien entleert. Die NGOs, die mächtigen interest groups, sind heute stärker als die politischen Parteien und verlangen Ergebnisse direkt, das heißt ohne die Langsamkeit und Vorsichtigkeit der Demokratie. (Das war die Substanz des Streites zwischen Václav Havel und mir sofort nach dem Fall des Kommunismus.)

4.  Die Menschen sind der Meinung, dass die De-Politisierung der Gesellschaft eine offene Tür zur Demokratie darstellt, was völlig falsch ist. De-Politisierung führt zu nichts anderem als zur De-Demokratisierung der Gesellschaft.

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Ich bin mir sicher, dass die oben genannten Gründe unserer gewissen Naivität und unseres optimistischen Idealismus eine wichtige Rolle beim Entstehen der heutigen Situation gespielt haben.

Ich bin auch überzeugt, dass unsere Zufriedenheit mit der heutigen Welt und ihrer Prosperität zu den wichtigsten Ursachen der heutigen Situation gehört. Die Menschen sprechen oft über ihre Unzufriedenheit, was aber nicht korrekt ist. Das Niveau der wirklichen Unzufriedenheit oder des authentischen Widerstands ist relativ klein. Es gibt viel zu verlieren und nur eine kleine Minderheit ist bereit, es zu riskieren.

Ähnlich sieht es Thilo Sarrazin. In seinem jüngsten Buch „Die Vernunft und ihre Feinde“ stellt uns eine störende Frage: „Woher kommt ihre Ruhe?“ Wir, die da heute Abend sind, sind nicht in Ruhe, aber dieser Saal ist zu klein. Die Menschen glauben an die Stärke unserer heutigen Demokratie. Diesen Glauben teile ich nicht.

Ich sehe keine andere Möglichkeit als die Rückkehr zur ideologischen Politik, zu einem funktionierenden Parteisystem, zu den in der Vergangenheit existierenden Mechanismen des parlamentarischen Systems. Wir brauchen Politik, nicht die Politisierung.       

Václav Klaus, 3. 5. 2024

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